Ring, Tannhäuser, Holländer und Tristan bei den Bayreuther Festspielen in diesem Sommer

Wisst ihr, wie das ward?

Der laufende Jahrgang der Bayreuther Festspiele beeindruckt nach dem technisch innovativen „Parsifal“ musikalisch und szenisch mit den Wiederaufnahmen von Ring, Tannhäuser, Holländer und Tristan

Von Roberto Becker

(Bayreuth, im August 2023) Das ist ein Festspiel-Jahrgang mit einem experimentierfreudigen „Parsifal“-Auftakt. Und ansonsten mit einer Nagelprobe auf die sogenannte Werkstatt Bayreuth. Vor allem für den im vorigen Jahr heftig attackierten Ring von Valentin Schwarz, der – entgegen jeden Verdachtes, dass es sich dabei nur um eine Legende handelt – tatsächlich die Chance genutzt hat, um vor allem den Schluss seiner „Götterdämmerung“ zu überarbeiten und damit eigentlich das Ganze zu einem stimmigen Ende zu führen.

Die ästhetisch recht hermetischen Inszenierungen von Dimitri Tcherniakows „Fliegendem Holländer“ und Roland Schwabs „Tristan und Isolde“ profitierten hauptsächlich von den Personalveränderungen und einer eher kleinen Inspektion. Während Tobias Kratzer mit seinem zum Spielplanhit avancierten „Tannhäuser“ mit einem genialen Trick selbst eine Möglichkeit der Aktualisierung von vornherein eingebaut hat, die nicht mal die Werkstätten oder den Probenplan und selbst das Budget nur höchst maßvoll beanspruchen dürfte.

Zur Inszenierung gehört nämlich ein Video, in dem die Off-Truppe um Venus in ihrem Theatervehikel von der Wartburg aufbrechend, Richtung Bayreuth losfährt, dabei Station macht, Benzin klaut, einen Wachmann einfach umfährt, auf diversen Zwischenstationen allerhand erlebt. Das fing im ersten Jahr an mit einem Seitenhieb auf die Vorgängerinszenierung von Sebastian Baumgarten. Im Folgejahr war das Porträt mit dem (künstlerisch und auch so problematischen) Premierendirigenten und notorischen Zuspätkommer Valery Gergiev abgehängt und mit dem Vermerk „komme später“ versehen. Dann wieder war das Ziel der Reise der Festspielbezirk in Salzburg, was man auch trotz der zwischenzeitlichen Bestallung von Kratzer als Intendant in Hamburg als eine augenzwinkernde Bewerbung eines Mannes verstehen kann, der das gar nicht (mehr) nötig hat. In diesem Jahr gab es eine Anspielung auf die AR-Brillen im „Parsifal“ (die für Kratzers „Tannhäuser“ kaum irgendeinen Zugewinn an Theater-total-Wirkung bringen würden) und einen kurzen persönlichen Auftritt des Regieteams. Was (siehe die Koffer mit Hamburgaufkleber) eigentlich wie ein Tschüss angedacht war, aber doch nur ein wir kommen wieder! Verlängerung um ein Jahr und auch für 2026, wenn es die große Jubiläumsspielzeit mit allen 10 Opern des Bayreuth-Kanons, plus Rienzi! geben soll. Alle Familienstämme sind mit diesem Tabubruch einverstanden.

Das Tannhäuser-Spektakel mit Polizeieinsatz im Video und Pausenbespielung am Teich, mit selbstreferenziellem Blick in den Festspielspielgel und die Rezeptionsgeschichte, samt Regenbogenfahne – es funktionierte perfekt wie seit je. Festspiel-Liebling Klaus Florian Vogt lieferte einen erstklassigen (seine Hamburger Version war da nur Vorstudie) Tannhäuser, Elisabeth Teige ersetzte ihre norwegische Jahrhundertsimmen-Vorgängerin Lise Davidsen mit eigenen Akzenten überzeugend. Das eigentliche Novum war der erneute Stabwechsel im Graben. Da stand jetzt mit Natalie Stutzmann die zweite Bayreuth-Dirigentin am Pult – und überzeugte restlos! Dass damit dieses zurecht immer wieder kritisierte Manko des weiblichen Anteils bei den Dirigenten ausgerechnet in Bayreuth mehr oder weniger stillschweigend und ganz nebenbei schon das zweite Mal reduziert wurde, gehört zu den Verdiensten der Werkstatt-Chefin. Genauso, wie sie in diesem Jahr die zahlreichen, erforderlich gewordenen Umbesetzungen mit Souveränität gemeistert hat. Zu der gesellte sich dann auch noch das Quäntchen Glück, das dem Tüchtigen allemal winkt.

In der stimmigen und als Überschreibung der Geschichte vom verfluchten Seefahrer gut nachvollziehbaren Inszenierung des „Fliegenden Holländers“ bei der die Bayreuth-Dirigentin mit der laufenden Nummer eins, Oksana Lyniv, wiederum am Pult stand, und keinen Zweifel daran ließ, dass das so auch vollkommen in Ordnung ist, sorgte Michael Volle für einen Holländer der Sonderklasse. So atemberaubend spannend gestaltet hat man den Auftrittsmonolog noch nie gehört. Exquisite Wortverständlichkeit versteht sich bei ihm, wie natürlich auch bei dem schon als Gurnemanz, Hunding und Marke gefeierten Georg Zeppenfeld als Daland, von selbst. Aber es gehört zur Festspielrendite für die Zuschauer Sänger nicht nur vor oder kurz nach dem Zenit ihres Könnens zu erleben, sondern genau da dabei zu sein.

Bei Catherine Foster hatte man ein ähnliches Gefühl. Bei ihrer Isolde, vor allem aber auch vorher bei ihren Auftritten in „Walküre“ und in „Götterdämmerung“. Sie ist die neue Brünnhilde im Schwarz-Ring- eigentlich aber die alte aus dem Castorf-Ring. Den fulminanten Eindruck von damals hat sie jetzt noch übertrumpft. Bei den heldentenoralen Schwergewichten ist es natürlich Andreas Schager, der als Siegfried allein schon durch pure Kraftentfaltung beeindruckte. Dass er auch subtile Zwischentöne (meist gut versteck) in petto hat, hatte er als Parsifal eindrucksvoll bewiesen. Auch im Ring gab es solche berührenden Momente des Innehalten beim Sturm auf die vokalen Gipfel. Ein Ausnahmesänger, der das Hochplateau seiner Möglichkeiten allemal im Blick hat, manchmal dorthin springt, dann aber doch wieder sein Heil im Anlaufsprint sucht. Wenn er auch noch den Tristan übernommen hätte, hätte das niemanden gewundert. Er könnte es. Aber auch gut, dass er es nicht musste! Zu den vokalen und darstellerischen Festspielfundamenten – mit hörbarer Hügelerfahrung – gehört neben Vogt und Zeppenfeld, auch Christa Mayer vor allem als Fricka, Waltraute und als Brangäne.

Nach dem kompletten Durchlauf bleibt als Fazit: Viele Höhepunkte, manches Geschmacksache, aber keine richtig ärgerlich Enttäuschung. Weder auf der Bühne, noch im Graben.
Bleibt der große Brocken, den ein neuer Ring allemal darstellt. Noch dazu wenn er so vehement vom Publikum und überwiegend auch von der Kritik abgelehnt wurde, wie der von Valentin Schwarz im letzten Jahr.

Dass es bei den wirklich herausfordernden, spektakulären Ring-Deutungen (also dem von Castorf, um nicht gleich Chereau zu bemühen) genauso war, ist nur ein Hilfsargument. Auch, dass das Konzept von Schwarz, diese Untergangsgeschichte einer mythischen Götterwelt, nicht nur in eine weit gefasste Gegenwart zu verlegen, sondern konsequent auf das Menschenmaß einen Familiengeschichte herunterzureichen und als eine Art Fortsetzungs-Soap zu erzählen, sieht im Vergleich mit Tcherniakows inzwischen in Berlin zu besichtigenden, ebenfalls rigorosen Überschreibung, in Sachen Stringenz und innerer Logik gar nicht so alt aus, wie seine Kritiker behaupten. Natürlich wird es immer als kühne These empfunden, wenn es eigentlich nicht um irgendwelches Gold geht. Darum ging es schon bei Castorf nicht. Bei Schwarz manifestiert sich der Kampf und die Macht (zwischen den Zwillingen Wotan und Alberich – nächste steile These) in einem Kampf um die Etablierung der Erben. Alberich stiehlt sich einen – sprich Hagen als Kind. Wotan erzeugt seinen Hoffnungsträger jenseits der Ordnung der Dinge.

Bei Schwarz ist Siegfried nicht nur das Resultat des Inzestes der aus Wotans Seitensprung hervorgegangenen Geschwister Siegmund und Sieglinde. Hier ist er offensichtlich selbst der Erzeuger seines Enkels! Das klingt abgefahren – aber Schwarz macht draus über weite Strecken unterhaltsames, bilderstarkes, lebendiges Theater. Eins, das sich in der Wiederbegegnung bei manch einem deutlich besser erschließt, als beim ersten Mal. Jetzt sogar mit einem aus der Binnenlogik folgenden Ende. Was im vorigen Jahr wie eine Bruchlandung im wasserlosen Pool wirkte, hat jetzt auch szenisch die tragische Dimension, die man bei Pietari Inkinen auch hört. Hagens Auftritt wird hier nicht einfach absolviert. Sie greift jetzt die gemeinsame Vorgeschichte, die ihn ein Stück weit an der Seite Siegfrieds sah, wieder auf. Hier wird einer zum Mörder, nicht weil er es unbedingt will, sondern weil er nicht anders kann, weil ihn die Verhältnisse (der Schwur) dazu zwingen. Ein Mörder, der das (dazu erfundene) Kind des Opfers tröstet. Und wenn dann nach Catherine Foster furios gespieltem und gesungenem Schlussgesang der fallende Rundhorizont den Blick auf das Neonröhren-Feuer dieses Untergangs freigibt, dann sieht man auch den erhängte Wotan noch einmal.

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