Kušejs Salzburger Figaro enttäuscht

Baller-Baller

Martin Kušejs Salzburger Figaro ist vor allem eines: schlechtes Provokationstheater.
Dafür wird ganz wunderbar gesungen.

Von Robert Jungwirth

(Salzburg, 27. Juli 2023) Den ersten Toten sieht man nach etwa 15 Minuten auf der Bühne liegen. Jemand hat ihn erschossen, blutüberströmt sinkt er zu Boden im Schloss des Grafen Almaviva. Wer der Tote ist und wer der Mörder bleibt unklar – bis zum Schluss. Möglicherweise hat Almaviva ja noch mehr Leichen im Keller. Jedenfalls zückt er bei der geringsten Meinungsverschiedenheit seine Pistole – ebenso wie Figaro. Und am Ende des 2. Akts laufen sogar alle mit einer Waffe in der Hand herum. Haben die alle einen an der Waffel oder was ist da los? Will Regisseur Martin Kušej damit zeigen, welche Brutalos die Männer in diesem „Figaro“ von Mozart sind?

Le nozze di Figaro 2023: Andrè Schuen (Il Conte di Almaviva), Adriana González (La Contessa di Almaviva)
© SF/Matthias Horn

Es ist schon so, dass sie verflucht unangenehm werden können, wenn ihnen jemand bei ihren Frauen in die Quere kommt. Und ihre Frauen sind nicht nur diejenigen, mit denen sie verheiratet, sondern auch noch die anderen, denen sie sich mehr oder weniger erfolgreich annähern. Da kennen die Männer keinen Spaß. Und entsprechend spaßlos ist auch Kušejs Inszenierung von Mozarts „Komödie“. Wobei die Überzeichnung mit den vielen Pistolen vielleicht auch irgendwie komisch sein sollte – gelacht hat allerdings keiner.

Für gewöhnliche Spaßettln ist Kušej in seinem Salzburger „Figaro“ nicht zu haben. Das sieht man schon an dem trostlosen Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt – graue Waschbetonwände und gesichtslose, kahle Vorzimmer-Räume. In die eigentlichen Wohnräume des „Schlosses“ gelangen wir Zuschauer nie. Alles spielt davor in irgendwelchen Durchgängen, kahlen Räumen oder im Müllraum mit dutzenden von schwarzen Müllsäcken – in gruseliger Beleuchtung (Friedrich Rom).

Offensichtlich findet Kušej diese Anti-Haltung im Milieu von Clan-Kriminellen originell. Dabei ist sie vor allem eines: langweilig und auch nicht wirklich motiviert. Im Gegenteil, manchmal unterläuft Kušej sogar das, was er eigentlich inszenieren sollte und schafft damit Leerstellen im Handlungsgefüge, das man sich dann als Zuschauer irgendwie dazudenken muss. Ist das Dekonstruktion? Nein, das ist einfach schlechtes Provokationstheater. Auch die Mädchen, die zum Huldigen zu Almaviva gekommen sind, und dabei ihm ihre blutigen Nachthemden entgegenschleudern – weil er sie natürlich alle entjungfert hat – sind in ihrer plumpen Drastik wenig überzeugend.

Würde nicht so wunderbar gesungen in diesem „Figaro“, man würde am liebsten das Weite suchen. So aber nimmt man die verunglückte Szenerie in Kauf und versucht, sich durch sie nicht allzu sehr stören zu lassen. Grandios sind – wie sollte es anders sein – hier vor allem die Frauen. Allen voran Sabine Devieilhe als energiegeladene Susanna mit jugendlichem Stimm-Charme und die Gräfin von Adriana Gonzalez mit eindringlicher Piano-Kultur, mit der sie alle tumben Männerpoltereien aushebelt. Auch Serafina Starke als Barbarina und natürlich Lea Desandre als Cherubino setzen ihren Partien Glanzlichter auf. Andre Schuen gibt einen kernigen, nicht zum Spaßen aufgelegten Grafen und Krzysztof Baczyk einen bodyguardmäßigen Figaro – ganz nach Kušejs Vorstellungen.

Der Alte-Musik-Experte, Countertenor und Dirigent Raphael Pichon bemühte sich am Pult der Wiener Philharmoniker durchaus erfolgreich um ein luzides Klangbild, blieb aber in der dynamischen und vor allem dramatischen Ausgestaltung von Mozarts so beziehungsreicher und vielsagender Musik eher eindimensional. Sehr Schade. Wer da noch Harnoncourt im Ohr hat, hört bei Pichon quasi schwarz-weiß.

Mit Figaro an der Bar Foto: Salzburger Festspiele/Matthias Horn

Witzig ist übrigens doch noch etwas in der Inszenierung: die 5. Szene im 3. Akt, wenn Figaro en passant erfährt, dass Bartolo und Marcellina, die ihn zuvor noch heiraten wollte, seine Eltern sind. Die Szene spielt bei Kušej an der großdimensionierten Hausbar, wo sich alle im Stadium fortgeschrittener Alkoholisierung vor Lachen abbrechen. Immerhin.

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