Eröffnung der Salzburger Festspiele mit Reden über Kunst und Politik

„Verwirren Sie Ihren Algorithmus“

Kunst und Politik bei den Salzburger Festspielen – der österreichische Bundespräsident fordert bei der Eröffnungsfeier dazu auf, die Algorithmen zu verwirren

Von Robert Jungwirth

(Salzburg, 27. Juli 2023) „Die Welt ist aus den Fugen.“ Das vom Intendanten der Salzburger Festspiele geprägte Motto des diesjährigen Festivals ist in vielfacher Hinsicht gut gewählt. Es stammt aus Shakespeares „Hamlet“ und markiert dort den Moment, in dem der Geist von Hamlets Vater Hamlet dazu auffordert, Rache am gewaltsamen Tod des Vaters zu nehmen. „Die Welt ist aus den Fugen“ ist zunächst einmal eine Feststellung, eine direkte Handlungsanweisung folgt daraus noch nicht. Und auch Hamlet braucht bekanntlich ein wenig, bis er sich zu konkreten Taten durchringen kann. An dem Punkt befinden wir uns Erdenmenschen im Sommer 2023. Die Folgen der Klimaerwärmung werden immer bedrohlicher. Wir alle wissen, dass etwas geschehen muss. Manche sprechen von Zeitenwende und beschwören wortreich den Wandel, andere schreiten zur Tat und ändern ihre Gewohnheiten oder kleben sich auf Straßen und Rollbahnen fest oder überschütten Bilder in Museen mit Farbe. Wieder andere kaufen sich noch immer SUVs und Motorjachten, fliegen in Privatjets zum Einkaufen…

Etwas scheint gehörig aus dem Gleichgewicht geraten zu sein auf diesem Planeten, ökologisch, ökonomisch, sozial, menschlich. Dazu kommen die Bedrohungen durch Kriege und Spannungen zwischen den Großmächten, KI, den Überwachungskapitalismus der Tech-Konzerne und das immer labiler und anfälliger werdende politische System unseren Demokratien für Fake-News und populistische Meinungsmache.

Kunst kann inspirieren, den Horizont des Denkens und Empfinden erweitern, uns zu neuen Einsichten bringen. Darauf wies auch sehr nachdrücklich die Präsidentin der Salzburger Festspiele Kristina Hammer in ihrer Rede zur Eröffnung hin. Konkrete Handlungsanweisungen kann und will Kunst nicht geben. Das ist nicht ihre Bestimmung. Kunst ist nicht Politik und Politik ist keine Kunst.

Insofern war die Reaktion von Markus Hinterhäuser auf die Aufforderung des Schauspielers Cornelius Obonya, die Festspiele sollten ihren Protest gegen die neue rechtskonservative Regierung im Land Salzburg mit FPÖ-Beteiligung dadurch ausdrücken, dass sie bei der Eröffnungsrede des Landeshauptmanns den Saal verlassen, durchaus nachvollziehbar. Hinterhäuser lehnte eine solche Aktion mit den Worten ab, er halte das für „abgenutzten Aktionismus“, dies seien „Empörungsrituale“, die von „gedanklicher Schlichtheit“ zeugten. Damit wiederum provozierte Hinterhäuser seinerseits Empörung in einigen Medien des Landes und man warf ihm Opportunismus vor. Er protestiere nicht, weil er die Fördergelder für seine Festspiele nicht gefährden wolle.

Diese Argumentation ist gedanklich sogar noch um einiges schlichter als der Aufruf zum Protest, weil jeder, der Hinterhäuser kennt, weiß, dass er nicht zu Opportunismus neigt und Intoleranz, Rassismus auf das schärfste ablehnt. Man kann gegenüber der FPÖ auch auf andere Weise seine Missbilligung ausdrücken als bei der einer eigenen Veranstaltungen den Saal zu verlassen. Interessant ist auch, dass eben jener Cornelius Obonya vor vielen Jahren in Salzburg selbst den Jedermann gespielt hat, als sich im Publikum der spätere Vize-Kanzler H.C. Strache (FPÖ) befand – ja, genau der mit dem Ibiza-Video. Damals jedenfalls sah Obonya für sich keine Veranlassung, die Bühne zu verlassen…

Es ist so eine Sache mit dem politischen Protest in der Kunst. Besser ist es, man verlegt man den Protest in die Kunstwerke hinein. Wenn Schriftsteller politische Romane schreiben, Regisseure politische Inhalte inszenieren oder Filme mit politischen Themen machen, bietet das einen weitaus besseren Rahmen für eine gesellschaftliche Diskussion als eine Empörungsaktion wie die jetzt von Obonya geforderte. (Auch der frühere Festspielintendant Gerard Mortier meinte ja einmal aus Protest gegen eine FPÖ-Regierungsbeteiligung zurücktreten zu müssen – bis er dann vom Rücktritt wieder zurücktrat. Er dürfte gemerkt haben, dass sein Rücktritt nichts bewirkt hat.)

Abgrenzung gegen rechts ist wichtig und notwendig, weil es darum geht, Toleranz und Humanismus gegen eine menschenverachtende Gesinnung zu verteidigen. Hier kann die Kunst ihren Beitrag leisten, indem sie für Menschlichkeit wirbt, Anregungen gibt, Denkprozesse in Gang setzt. Es ist vielleicht manchmal sogar besser, zweifelhafte Politiker gehen ins Theater als dass sie es nicht tun. Möglicherweise sind sie ja sogar noch fähig, etwas dazu zu lernen…

Und was unsinnige Empörungsrituale betrifft, so sind wir damit ja auch in Deutschland gerade sehr beschäftigt. Wenn Markus Söder Friedrich Merz dafür abwatscht, dass der lokale Kooperationen mit der AfD nicht ausschließen will, ist das einfach nur heuchlerischer Wahlkampfzirkus. Denn lokale Zusammenarbeit gibt es längst. Söder ist und bleibt ein unseriöser Populist. Jeder, der ihn im Herbst wählen will, sollte z.B. wissen, dass er jahrelang mit Viktor Orban kungelte und ihn zu CSU-Tagungen einlud!

Mit viel Spannung ist nun also in Salzburg die Eröffnungsfeier mit Reden des österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen und des Salzburger Landeshauptmanns Wilfried Haslauer (ÖVP) erwartet worden. Während Haslauer eine mehr philosophische und allgemein menschliche als eine politische Rede hielt und sehr eindringlich dafür warb, nicht alles dem Rationalismus zu überlassen und Wunder etwa in der Kunst beschwor, plädierte Van der Bellen trotz aller Katastrophen für einen „begründeten Optimismus“. Der und eine liberale Demokratie seien die Grundlagen für „unsere Zukunft“. Außerdem sollten wir unsere angestammten Meinungs- und Überzeugungsblasen auch mal verlassen, um wieder zu einer Offenheit im Denken und im Diskurs zu gelangen anstatt uns gegenseitig nicht mehr zuzuhören und aneinander vorbei zu reden. „Reden Sie mit Leuten, die Sie nicht kennen, die nicht zu ,Ihrer Gruppe‘ gehören“, forderte Van der Bellen und „bringen Sie Ihre Blase zum Platzen, verwirren Sie Ihren Algorithmus!“ Und so verkündete der österreichische Bundespräsident, dass er ab sofort seinem politischen Gegner Norbert Hofer von der FPÖ auf Instagramm folgen werde…

Davor hat auch noch der österreichische Kunstminister Werner Kogler (Die Grünen) die Bühne für ein paar politische Statements genutzt. Er forderte eine „neue Aufklärung, weil autoritäre Kräfte den Weg an die Macht suchen“. Lügen dürften nicht länger zur Basis von Debatten werden.

Übrigens hat niemand bei Haslauers Rede den Saal verlassen. Es gab auch keine Proteste vor dem Theater. Auch nicht von Klimaklebern, was durchaus erwartet worden wäre.
Aber die gute Nachricht hierzu lautet: Es fahren mehr und mehr Staatskarossen elektrisch. Immerhin.

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