Auftakt der Ouverture spirituelle bei den Salzburger Festspielen

Hoffnungslos, aber nicht ernst

Auftakt des Konzerte-Reigens bei den Salzburger Festspielen mit der schon traditionellen Reihe „Ouverture spirituelle“

Von Robert Jungwirth

(Salzburg, 20. und 21. Juli 2025) Dass die Ouverture spirituelle als besinnlich-innehaltender Auftakt des größten Kulturfestivals der Welt einmal so gut in unsere Zeit passen, ja so nötig sein würde, das hat sich der Gründer dieser Reihe, der vormalige Intendant der Salzburger Festspiele Alexander Pereira, vielleicht selbst nicht vorgestellt. Wer konnte schon Corona und dann den Krieg gegen die Ukraine bzw. gegen die westliche Welt vorhersehen? Dazu kommen die Klimakrise mit immer mehr Umweltkatastrophen, Hitzewellen und Trockenheit, die beschämende soziale Ungleichheit, die schamlose Gier der „happy few“ mit ihren Jets und Jachten, die grassierende Gedankenlosigkeit und Wurschtigkeit von so vielen in Fragen von Nachhaltigkeit und Umweltschutz – Stichwort Plastik, Luftverschmutzung durch Autoabgase, Verseuchung von Böden und Wasser durch industrielle Landwirtschaft, Pestizide usw., usf.

„Die Zeit ist aus den Fugen“, zitiert der Intendant der Salzburger Festspiele Markus Hinterhäuser sehr treffend „Hamlet“ und macht den Satz zum Motto dieses Festspielsommers. Das klingt einigermaßen bedrohlich, aber es lässt doch Raum für Hoffnung. Oder ist es so, wie es in dem schönen Bonmot heißt: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Wer genug Humor und/oder Spiritualität besitzt, dem mag angesichts der erschreckenden Verwerfungen auf diesem, unserem Planeten eine weniger verzweifelte Bewertung der Lage gelingen.

In der Ouverture spirituelle (sie trägt die Überschrift „Lux aeterna“, also ewiges Licht) mit ihren geistlichen, spirituellen, meditativen Inhalten jedenfalls können die Besucher das trainieren: eine spirituelle Sicht auf die Welt – die uns freilich nicht unserer Verantwortung für diese Welt und ihre Lebewesen enthebt, im Gegenteil. Gerade dadurch sollten unsere Sinne geschärft werden für das, was jetzt wirklich notwendig ist. Immer noch fettere Autos und Jachten und immer noch mehr Ausbeutung von Mensch und Natur sind es sicher nicht!

Als Auftakt erklang das letzte große Orchesterwerk eines der spirituellsten Musiker des 20. Jahrhunderts: Olivier Messiaens „Éclairs sur l’Au-delà“. Entstanden ist es zwischen 1987 und 1991 für die New Yorker Philharmoniker, die es wenige Monate vor Messiaens Tod unter der Leitung von Zubin Mehta 1992 uraufführten. Ursprünglich sollte das Werk „Paradies“ heißen – daraus wurde dann „Blitze, die das Jenseits erleuchten…“ Der Kirchenmusiker und gläubige Katholik Messiaen hat ähnlich wie Bruckner in seinen Werken fast immer auch religiöse oder spirituellen Bezüge mit aufgenommen. Häufig sind es die Stimmen der Vögel, in denen Messiaen Boten des Göttlichen sah, die diese „andere“ Welt symbolisieren. So auch in „Éclairs“.

Wenige Monate vor seinem Tod sagte Messiaen: „Ich stelle mir mich selbst vor einem Vorhang vor, in Dunkelheit, besorgt über das, was dahinter verborgen ist: Auferstehung, Ewigkeit, das andere Leben. (…)Ich versuche einfach, mir vorzustellen, was passieren wird, und das kann ich manchmal in „éclairs“ wahrnehmen.“ Eine Aufführung seiner „Éclairs“ hat er nicht mehr erlebt.

Das Orchester ist übergroß besetzt, 128 Instrumente, darunter ein riesiger Apparat an Flöten und Schlagwerk. 48 Vögel aus verschiedenen Erdteilen kommen „zu Wort“. Inhaltlich orientiert sich Messiaen an Bibelstellen vor allem aus der Offenbarung des Johannes über das Jenseits und die himmlische Stadt, die gut einstündige Werk in elf Teile gliedert. Die groß dimensionierte Salzburger Felsenreitschule war dafür der passende Rahmen. Und Ingo Metzmacher am Pult des SWR Symphonieorchesters ein kompetenter und engagierter Organisator der irdischen wie der überirdischen Klänge. Wobei es bei ihm tatsächlich mehr ums Organisieren als ums spirituelle Sinnieren ging. Das merkte man schon beim massiv-auratischen Beginn mit seinen langsamen Akkord-Rückungen. Absolut faszinierend dann aber das vielstimmige Vogelkonzert „Mehrere Vögel der Lebensbäume“. Die Bläser und Schlagwerker des Orchesters leisteten Großartiges.

Blicke ins Jenseits bietet auch tags darauf Heinrich Schütz‘ großangelegter Trauergesang „Musikalische Exequien“ für Chor und Basso continuo. Schütz komponierte ihn 1636 als Begräbnismusik für einen Fürsten, der ihm dafür noch zu Lebzeiten einige textliche Vorgaben aus der Bibel gegeben hatte. Entstanden ist eine innige und intime Meditation über das „irdische Jammertal“ und die Aussicht auf Rettung daraus – so wie es zu Zeiten von Pest und Cholera und Dreißigjährigem Krieg nicht anders zu erwarten ist. Auch für Fürsten war diese Zeit kein Zuckerschlecken, für alle anderen natürlich noch viel weniger. Der Los Angeles Master Chorale unter seinem Leiter Grant Gershon singt das, als hätte er nie etwas anderes getan.

Los Angeles Master Chorale · Gershon 2023: Los Angeles Master Chorale, Grant Gershon (Dirigent) © SF/Marco Borrelli

Die Töne kommen den Sängerinnen und Sängern so selbstverständlich und natürlich über die Lippen, während sie in immer neuen Konstellationen über die Bühne wandern (Regie: Peter Sellars) als würden sie die Musik über Antennen geradezu von oben empfangen. Sie singen die ganzen 2 Stunden ohne Noten in der Hand – also auswendig, ebenso dirigiert Grant Gershon. Die klangliche Reinheit, die enorme Konzentriertheit auf punktgenaue Ausgestaltung der Gesangsphrasen, die deklamatorische Dringlichkeit ist überwältigend. Und das Publikum in der Kollegienkirche verliert selbst nach 2 Stunden (inklusive des ersten Stücks des Abends) nichts von seiner staunenden Hingabe an diese außergewöhnliche Aufführung dieses schlichten und dabei so zu Herzen gehenden Trauergesangs.

Verschiedene Stimmgruppen wechseln sich in steter Bewegung ab, und dem Chor gelingt es, die Mehrstimmigkeit stets zu einem musikalischen Wunder zu gestalten. Da hätte es die zum Teil regelrecht peinlichen Gesten von zum Himmel gereckten Händen, sich auf die Brust klopfen, Umarmungen und sich zu Boden werfen, die Sellars dem Chor aufnötigt, wahrlich nicht gebraucht. Diese Art von Besinnung- und Betroffenheitskitsch und stört mehr als er nützt. (Vor vielen Jahren hat Sellars in Salzburg schon die Sopranistin Dawn Upshaw dazu veranlasst, zu einer Bachkantate eurythmische Bändertänze aufzuführen – nicht minder peinlich.)
Dem hier besungenen Wunder von Erlösung und Auferstehung standen die musikalischen Wunder dieses phänomenalen Chors aus Los Angelese gegenüber – einfach grandios.

Sonnengesang – Los Angeles Master Chorale · Gershon 2023: Los Angeles Master Chorale, Grant Gershon (Dirigent), Julia Hagen (Violoncello), Bogdan Bacanu (Schlagzeug)
© SF/Marco Borrelli

Dass man diesem Konzert als ersten Teil noch Sofia Gubaidulinas schwebend mysteriösen „Sonnengesang“ nach dem Text von Franz von Assisi für Cello, Chor und Schlagzeug von 1997 voranstellte, war eigentlich fast zuviel des Guten. Besonders ist hier die Cellistin Julia Hagen hervorzuheben, die mit geradezu magischen Sirenenklängen ihres Cellos die weiträumige Kirche in einen akustischen Wundertempel verwandelte.

Und doch war diese musikalisch-spirituelle Zusammenschau von 17. und 20. Jahrhundert auch von ganz besonderem Reiz. Man spürte über di e Jahrhunderte hinweg umso deutlicher, auf was es in diesem Leben eigentlich ankommt und dass unsere Fetischisierung von Technik und Konsum höchst fragwürdig ist…

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