Licht- und Schatten-Musiken bei der Salzburger Ouverture spirituelle

Im Namen des Lichts

Die Salzburger Ouverture spirituelle mit Musiken zwischen Licht und Schatten

Von Robert Jungwirth

(Salzburg, 22. und 23. Juli 2023) Bezüge und Korrespondenzen über die Jahrhunderte hinweg, die zeigten sich in drei Konzerten der Ouverture spirituelle bei den Salzburger Festspielen. Sofia Gubaidulina nimmt in ihrer Meditation über den Bach-Choral „Vor deinen Thron tret ich hiermit“ für Kammerensemble mit Cembalo natürlich Bezug auf den großen Thomaskantor, kreiert daraus aber eine Musik voll verstörender Untergründigkeit. Allein schon der Titel wäre in dem System, in dem Gubaidulina groß wurde – die Sowjetunion – auf tiefe Skepsis gestoßen. So ist ihre Verbindung mit Bach und der christlichen Lithurgie grundiert von beunruhigenden Untertönen, die uns aber genauso ansprechen und unsere verstörende Welt symbolisieren können. Nicht minder eigenwillig ist Giacinto Scelsis Orgelmeditation „In nomine lucis“, in der clusterhafte Akkordbewegungen und Pulsationen geheimnisvolle Klangräume öffnen und Überlagerungen sowie mikrotonale Tonveränderungen Licht und Schatten erzeugen wie in einem Gemälde von Mark Rothko.

Düster verstörend dagegen klingen die Quatre Chants pour franchir le seuil (Vier Gesänge, um die Schwelle zu überschreiten) für Sopran und 15 Musiker von Gérard Grisey. Klanggewitter mit tiefem Blech und Gongs bilden die Grundlage für einen zersplitterten Gesang der Solistin. Apokalypse und kosmischer Neuanfang fließen zusammen.
Was für ungeheure Werke waren das allein in diesem Konzert in der Kollegienkirche am Samstag zu hören und wie grandios musiziert von Alexander Bauer an der Orgel, der Sopranistin Katrien Baerts und dem Klangforum Wien unter der Leitung von Ilan Volkov.

Daran schloss sich tags darauf Claude Viviers existentialistisches Gesangspoem „Wo bist Du, Licht!“ für Mezzosopran, Schlagzeug, Streicher und Tonband beziehungsreich an, in dem Höderlins „Der blinde Sänger“ die Textgrundlage für eine düster-flehentliche Jenseitsbefragung bildet. 1981, zwei Jahre vor seinem frühen Tod, hat Vivier dieses suggestive Stück komponiert und damit einmal mehr seine Sonderstellung als eines der eigenwilligsten Stimmen der Neuen Musik des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts deutlich gemacht – vom Klangforum Wien unter Elena Schwarz und der Sopranistin Annika Schlicht mit bohrender Eindringlichkeit umgesetzt.

„Lux aeterna“ (ewiges Licht) ist ja der Titel der diesjährigen Ouverture spirituelle und die dafür ausgewählten Stücke paraphrasieren diese Wendung aus der lateinischen Totenmesse mit einer faszinierenden Vielfalt an unterschiedlichsten Ausdeutungen und musikalischen Stimmen und Sprachen. Viviers französischer Komponistenkollege nahezu gleichen Alters Gerard Grisey – Vivier ist Jahrgang 1948, Grisey 1946 – beschwört in seiner Komposition „Sortie vers la lumiere du jour“ für elektronische Orgel und 14 Musiker aus dem Jahr 1978 dagegen eine flirrend bewegte Lichtmeditation in Tönen und mikrotonalen Schichtungen. Als Mitbegründer der sogenannten „Spektralisten“ beschäftigte sich der Messiaen-Schüler Grisey intensiv mit der Erforschung mikrotonaler Klangspektren, die er in seinen Stücken
grandios auffächert.

Auch der Italiener Salvatore Sciarrino, dessen bekannte Oper „Luci mie traditrici“ sich ebenfalls in den Licht-Kontext einfügt, arbeitet seinerseits mit mikrotonal-flirrenden, aber noch mehr reduzierten und verinnerlichten Klängen. Sein Responsorio delle tenebre für sechs Stimmen knüpft an die Tradtionen des Renaissance-Kirchengesangs an und führt ihn klanglich ins 20. bzw. 21. Jahrhundert – eine faszinierende Überschreibung der kirchenmusikalischen Tradition, zumal im selben Konzert davor mit Tomas Luis de Victorias Officium defunctorum von 1603 genau dieser Renaissance-Kirchengesang im Original zu hören war – in einer strahlend klaren Wiedergabe durch die Vokalisten Cantando Admont unter der Leitung von Cordula Bürgi. Was für eine faszinierende und unmittelbar klangsinnlich berührende Zusammenstellung von Musiken, die sich über 400 Jahre Musikgeschichte die Hände, respektive die Töne reichen…

Biber-Requiem – Vox Luminis · Freiburger BarockConsort · Meunier 2023: Vox Luminis, Lionel Meunier (Musikalische Leitung), Freiburger BarockConsort
© SF/Marco Borrelli

Dagegen blieb das Konzert am Sonntagmorgen auf Renaissance und Barock konzentriert und bot mit Agostino Steffanis Stabat Mater von 1728 und dem Requiem f-Moll des ehemaligen Salzburger Hofkapellmeisters Heinrich Ignaz Franz Biber zwei faszinierende Trauergesänge, in denen ebenfalls die Licht-Schatten-Thematik in vielfältiger klanglicher Expressivität aufscheint…Das Freiburger BarockConsort unter der inspirierten Leitung von Lionel Meunier begleitete das Ensemble Vox Luminis (allein des Namen wegen mussten die Sänger schon engagiert werden…). Im Vergleich mit ihren Kollegen aus Los Angeles, die am am Donnerstag und Freitag die Exequien von Schütz gesungen haben (siehe Besprechung auf KlassikInfo), blieb Vox Luminis aber in Sachen Deklamation zurück.

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