Rudi Stephans Oper Die ersten Menschen in Frankfurt

Adams Familie

Die Oper Frankfurt bringt Rudi Stephans erstaunliche Oper „Die ersten Menschen“ von 1914 neu heraus – hier war sie 1920 uraufgeführt worden

Von Robert Jungwirth

(Frankfurt, 2. Juli 2023) Manchmal begegnen wir ihnen im Straßenverkehr und regen uns fürchterlich über sie auf, die ersten Menschen. Sonst aber wissen wir relativ wenig über sie und ihre Lebensweisen. Ein Mangel meinte der Schriftsteller Otto Borngräber und verfasste ein Schauspiel mit dem Titel „Die ersten Menschen“, das Einblicke gibt über die Zustände bei Adams Familie mit den lieben Söhnen Kain und Abel. Das wiederum interessierte den Komponisten Rudi Stephan, der daraus eine Oper machte. 1909 war das, 1914 war die Oper vollendet, 1915 starb der gerademal 28-jährige Komponist im Ersten Weltkrieg. Eines der vielen jungen Künstlertalente, die dieser Krieg hinweggerafft hat. 1920 erlebte die Oper „Die ersten Menschen“ ihre erfolgreiche Uraufführung in Frankfurt am Main.

Jetzt ist das staunenswerte und zugleich reichlich seltsame Werk erneut in Frankfurt an der Oper zu sehen. Der scheidende GMD Sebastian Weigle wählte es zu seiner Abschiedspremiere nach 15 Jahren an dem Opernhaus. Und tatsächlich ist es Stephans farben- und facettenreiche Musik, die den Reiz dieses Werks ausmacht. Das Libretto verwundert eher als es überzeugt. Es bietet weniger ein spannendes Handlungsdrama über die Konflikte in der Ur-Familie des Menschengeschlechts als vielmehr ein reichlich krudes Ideen- und Diskurstheater über Gottesfurcht, den Sinn des Leben (Arbeit) und die Triebgesteuertheit von (manchen) Männern, die hier durchaus pathologische Züge aufweist… „Die Streitgespräche der Brüder enthalten die Essenz von mehreren tausend Jahren Streit zwischen Religion und Atheismus“, lobt das Programmheft das Libretto. Der berühmte Uraufführungsrezensent Paul Bekker formulierte das schon deutlich kritischer, als er schrieb: „In bombastisch aufgeblasener, philosophisch verqualmter Sprache werden Gemeinplätze als Orakelsprüche vorgetragen…“

Der Sexualtrieb verschärft sich in der Ur-Familie natürlich dadurch, dass es einen eklatanten Männerüberschuss gibt. Adam, Kain und Abel und nur eine Frau: Eva (in der Oper tragen sie ihre hebräischen Namen Adahm, Chawa, Kajin und Chabel). Das kann nicht gutgehen.

„Finden will ich das wilde, wilde Weib“, grölt der testosteronüberschießende Kajin über die Bühne und man fürchtet Schlimmes. Von Gott und Opferdienst, wie ihn seine Verwandten betreiben, hält Kajin dagegen wenig: „Arm, der Gott, der Opfergaben von Menschen nötig hat.“ Kajin gefällt sich in der Rolle des Naturbuschen – ein bisschen wie Jung-Siegfried bei Wagner. Auch der ist ja was Frauen angeht eher unerfahren. So wie es in der Musik von Rudi Stephan reichlich wagnert, so gibt es auch beim Personal der Oper ein paar Parallelen zu Opern des großen Bayreuthers. Das ungleiche Brüderpaar erinnert an die Riesen-Brüder Fasolt und Fafner aus dem „Rheingold“, die sich ja auch im Streit um eine Frau in die Haare kriegen – mit ebenfalls letalem Ausgang. Das Inzest-Motiv kennen wir aus der „Walküre“, bei Stephan ist es sogar verdoppelt. Denn auch Chabel nähert sich seiner Mutter libidinös – wenn auch deutlich zurückhaltender als sein ungestümer Bruder. „Gott ist tot“, verkündet Kain, weil er die Glaubensriten seiner Verwandten für sich ablehnt. Da gibt es ein paar spannende Wortmeldungen, die Kain oder Kajin wie er hier heißt als frühen Nietzsche-Anhänger kennzeichnen. Alles also schon da in der Frühzeit der Menschen. Auch die Einbauküche und die Mikrowelle.

Regisseur Tobias Kratzer und Bühnenbildner Rainer Sellmaier haben die Verbindung unserer Gegenwart mit den „ersten Menschen“ zum Prinzip ihrer Inszenierung gemacht. Die Möbelhaus-Spießer-Idylle von Adams Familie im ersten Akt ist nur die Vorstufe der Trümmerlandschaft im zweiten Akt. Da haben es die ersten Menschen schon geschafft, die Erde in einen Schutthaufen zu verwandeln. Es sind also auch die „letzten Menschen“, die wir auf der Bühne sehen. Anfang und Ende von uns Menschen laufen hier zusammen. Eine witzige, wenngleich auch zynische Idee, die Kratzer mit allerhand grotesken Einfällen lustvoll auskostet. In jedem Fall eine überzeugende Herangehensweise an dieses doch sehr hanebüchene „Drama“. Auf diese Weise provoziert Kratzer bei den Zuschauern zumindest ein paar Gedanken, was den Entwicklungsstand unserer Spezies im 21. Jahrhundert im Vergleich zum Urmenschentum angeht…

Doch zurück zur Musik, die Sebastian Weigle ebenfalls höchst lustvoll und auch eindrucksvoll mit spätromantischem Melos, aber auch großer Transparenz und Beweglichkeit aus dem Graben klingen lässt. Das ist tatsächlich sehr hörens- und staunenswert, was der junge Rudi Stephan hier an post-wagnerschem Musiktheater mit Anlehnungen an den spätromantischen Schönberg kreierte. Dabei entwickelte er durchaus auch eigene, neue Klangfarben, etwa durch den häufigen Einsatz des Saxophons. Kajins Tod nach seiner Selbstentmannung etwa begleitet ein Saxophon-Solo. Das ist schon etwas Besonderes 1914. Und erstaunlich ist auch, wie Stephan es schafft, eine musikalische Dramaturgie und Spannung zu erzeugen, die weit über den Text hinausgeht. Wer weiß, was dieser enorm begabte Rudi Stephan noch alles aus dem Hut gezaubert hätte…

Gesungen wird in dieser Neuproduktion der „ersten Menschen“ auf höchstem Niveau – mit Ian MacNeil als grandios berserkerhaftem Kajin, Ian Koziara als tenoral vergeistigtem Chabel, Andreas Bauer Kanabas als altväterlich sonorem Adahm und Ambur Braid als Chawa mit blühendem Sopran. Sie alle begeisterten das Frankfurter Publikum, das die eigentümliche Opernausgrabung mit viel Sympathie beklatschte – vor allem den noch-GMD Sebastian Weigle. Was schließlich auch noch Frankfurts neuer Oberbürgermeister Mike Josef tat, als er Weigle auf der Bühne die Ehrenmitgliedschaft des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters antrug und sich für dessen Arbeit in den vergangenen 15 Jahren bedankte. Eine schöne Geste auch für die Verbundenheit der Stadtspitze mit ihrem Opernhaus. Man darf hoffen, dass sich die Pläne für den Neu- bzw.  Umbau des Theaters nun auch bald zu aller Zufriedenheit konkretisieren werden…

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