Kosky inszeniert in Frankfurt Händels Hercules

Koloraturen wie Peitschenhiebe

Barrie Kosky inszeniert in Frankfurt grandios Händels „Hercules“

Von Bernd Feuchtner

(Frankfurt am Main, 30. April 2023) Es ist ein Jammer mit den Helden. Da sitzt der marmorne Hercules auf dem Sofa, ein Bild von einem Mann, aber unerreichbar. Dejanira verzweifelt an ihrem ewig abwesenden Gatten – gerade ist er dabei, die Stadt Oechalia zu plündern, zu verwüsten und ihre Einwohner zu meucheln, einschließlich ihres Königs. Das erfahren wir vom Boten Lichias, einer Figur, die Händel einer seiner Lieblingssängerinnen auf den Leib geschrieben hat – eine Botenfigur mit acht Arien! Regisseur Barrie Kosky hat deshalb gleich eine Frau daraus gemacht, eine erfundene jüngere Schwester des Hercules. Kelsey Lauritano bringt mit ihrem schönen Mezzo die Handlung von Händels Musikdrama „Hercules“ an den Knotenpunkten voran und stimmt uns sensibel auf die Nöte der Hauptfiguren ein.

Da es sich um eines der englischen Oratorien handelt, gibt es auch noch einen großen Chor, der die öffentliche Meinung vertritt und hier auch aktiv in die Handlung eingreift. Als erstes schubst er die gefangene oechalische Königstochter Iole herein und stößt sie herum, bis sie gegen das Portal knallt und zu Boden geht. Kein Wunder, dass die zarte Sopranistin Elena Villalón als erstes eine Arie des Hasses gegen die Mörder von Ioles Vater und ihres Volkes singt. Genau dies erweicht jedoch das Herz des jungen Hercules-Sohnes Hyllus, der sich sogleich in Iole verliebt – was diese als den allerschlimmsten Affront erlebt.

Es ist also ein Drama um Liebe und Eifersucht, das sich um den Superhelden Hercules herum entspinnt. Aus dem hermetisch geschlossenen Bühnenraum aus hellem Holz (Bühne und Kostüme Katrin Lea Tag) gibt es kein Entrinnen. Das erhöht den Druck. Hercules selbst hat nur beschränkte Handlungsmöglichkeiten: Bassist Anthony Robin Schneider hat zwar eine herkulische Statur und Stimme und durchmisst die Bühne mit großen Schritten, doch an diesem seinem letzten Lebenstag hat er bald nichts als Ärger.

Mit der gefangenen Prinzessin Iole hat er ihn sich selbst eingehandelt. Dejanira, zuerst über alle Maßen beglückt von dem zurückgekehrten Gatten, unterstellt ihm bald, er habe den ganzen Krieg nur angezettelt, um in den Besitz dieser zarten Schönheit zu kommen. Paula Murrihy hat schon mit übermäßiger Sehnsucht und überschäumender Wiedersehensfreude geglänzt, aber wie sie jetzt Hercules verhöhnt, ist sensationell. Die irische Sopranistin stanzt Koloraturketten in die Luft, die ihren Gatten treffen wie Peitschenhiebe, und umschlingt ihn mit falschen Zärtlichkeiten, die auf seiner Haut schon brennen wie später das Nessos-Hemd.

Die Frankfurter Produktion ist in jeder Partie glänzend besetzt, und das ausschließlich aus dem Ensemble. Daraus ragt das frühere langjährige Ensemblemitglied Paula Murrihy noch einmal heraus. Ihre Dejanira ist das Ereignis des Abends. Nicht nur durch ihren ausdrucksvollen Gesang, sondern auch durch Barrie Koskys ausgefeilte und bis ins Exzessive gehende Personenführung. Auch der Chor folgt hier einer genauen Choreographie oder wird losgelassen als eine Hetzmeute. Dass er dabei noch fabelhaft singt, ist wieder Tilman Michaels Verdienst. Händel hat hier eine große Familientragödie gestaltet, wie man sie selten findet im Barock, ein Oratorium, das nicht denkbar gewesen wäre ohne seine Opernerfahrung.

Von dem Kentaur Nessos, vor dem Hercules sie einst gerettet hatte, besitzt Dejanira noch ein Zauberhemd, das angeblich verlorene Liebe kitten soll. Dass es ein vergiftetes Geschenk ist, die späte Rache des Nessos, erkennt Dejanira erst, als Lichas berichtet, wie schrecklich das Nessos-Hemd sich in Hercules‘ Haut gebrannt hat. Und da erscheint er schon, der große Held, und quält sich vor aller Augen zu Tode – eine Bravourleistung von Anthony Robin Schneider, auf die Paula Murrihy mit ihrer Wahnsinnsszene noch eins draufsetzt. Dass ein Priester (mit schönem Bariton: Erik van Heyningen) verkündet, Jupiter habe seinen toten Sohn zu den Göttern erhoben, bringt keinen Trost. Am Ende steht die wahnsinnige Dejanira wieder alleine neben der Statue ihres nun endgültig entfernten Helden-Gatten.

Trost keimt in einer jungen Liebe. Iole haben die schrecklichen Vorgänge im Hause Hercules so sehr erschüttert, dass sie dem Liebeswerben von Hyllus nachgibt. Der junge Tenor Michael Porter hatte das naiv-ungestüme Verlangen des unerfahrenen Jünglings sehr anrührend gestaltet, so dass es nicht nur der Befehl Jupiters zu sein scheint, der das junge Paar zusammenbringt.

Dass die dreieinhalb Stunden so kurzweilig wirkten, war auch das Verdienst von Laurence Cummings. Seine Händelerfahrung – nicht nur aus zehn Jahren Göttinger Händelfestspielen – brachte die Musiker des Frankfurter Opernorchesters zu einem beseelten Musizieren. Mit ruhiger Hand führte er das Orchester durch die stürmischen Ereignisse und ließ die auf historischen Instrumenten spielenden Streicher dominieren (was ja vor allem Händels Instrumentierung geschuldet ist). Wir hätten uns nur gewünscht, dass das Orchester ein wenig höher gefahren worden wäre, um noch mehr von den Feinheiten dieses Orchestersatzes hören zu können. Das schränkt die herausragende Qualität dieses Abend nicht ein, der vom Publikum mit großem Jubel gefeiert wurde.

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