Mozarts Figaro am Münchner Gärtnerplatztheater

Wirbelnde Erotik

Mozarts „Le Nozze di Figaro“ am Gärtnerplatztheater als wunderbar erotische Komödie – musikalisch wie szenisch

Von Klaus Kalchschmid

(München, 2. Juli 2023) Als ihm seine Frau kurz vor Schluss triumphal den Ring an ihrer Hand entgegenstreckt, den sie gerade von ihm bekommen hat, ist das Gelächter des Grafen lang, laut und bitter, hatte er doch gerade noch geglaubt, er hätte ihn Susanna gegeben, mit der er sich zum Stelldichein im Dunkeln verabredet hatte. Dem irren Lachen folgt ein kurzer Ausbruch und der wütende Abgang. Erst nach langer Pause kommt dieser Mann zurück, würde wohl am liebsten im Boden versinken und alles ungeschehen machen. Doch er zwingt sich sichtlich widerstrebend auf die Knie und bittet mit beinahe gebrochener Stimme um Vergebung: „Contessa, perdono“. Ludwig Mittelhammer als Conte macht das großartig und seine Contessa (Ana Maria Labin) kontert überlegen und reichlich süffisant (in den Obertiteln genau übersetzt): „Da ich lernfähiger bin, sage ich ja.“

Eigentlich sollte sie diesen eitlen wie geilen hübschen Gockel in die Wüste schicken. Denn der greift, die Haare scharf gescheitelt, aber unter dem roten Bademantel der Oberkörper anfangs ebenso leger wie provozierend nackt, in seinem in die Jahre gekommenen Schloss allem, was einen Rock anhat, unter denselben. Doch wahrscheinlich weiß die Gräfin genau, dass sie nur mangels Gelegenheit bisher nicht selber fremd gegangen ist. Ihr Spiel und das ihrer Dienerin Susanna mit dem jungen Cherubino ist jedenfalls alles andere als harmlos. Denn in Josef E. Köpplingers Deutung sind sie alle das, was man im Tierreich „rollig“ nennt. Fast jeder schnüffelt an der Kleidung oder dem Bettzeug des anderen, sogar Marzelline (herrlich prall: Anna Agathonos). Und Don Basilio (Juan Carlos Falcón) richtet ein bisschen zu lange und zu nah an der Körpermitte des Grafen dessen Morgenmantel. Endlich anständig angezogen, riecht der später entzückt am Schal, der gerade noch in seiner Hose steckte.

Die Bühne von Johannes Leiacker zeigt ein reichlich heruntergekommenes Herrenhaus, in dem zwar der Putz heftig bröckelt, die Fenster blind oder zerbrochen sind, aber verblasste erotische Fresken an der Wand erahnen lassen, was da mal für eine Pracht herrschte. Im dritten Akt gibt es gar den Blick auf den Vorhang eines kleinen Barock-Theaterchens im Hintergrund, dessen Kulissen im vierten Akt dann zu sehen sind und jede Menge Versteckspiel erlauben. In diesem Ambiente sind die Figuren sehr geschmackvoll heutig gekleidet (Kostüme: Thomas Kaiser), aber das Bett von Susanna und Figaro ist nur eine Matratze auf Holz-Paletten in der Waschküche. Das zu vermessen, ist müßig; also legt Figaro, gerade erwacht nach einer schönen Nacht mit seiner Braut, die Messlatte am besten gleich sich selbst an. Die Antwort fällt entsprechend aus: „Ja, jetzt ist er wie geschaffen für mich/dich!“ Da wird gleich in der ersten Szene das Level der erotischen Situationskomik angedeutet, die bis zum Ende mit dem Tempo des Abends Schritt hält, auch wenn sich die Taktung der Gags glücklicherweise im vierten Akt nicht weiter beschleunigt.

Im ersten Akt hat der Graf ebenso Lust am Cherubino den Hosenboden Versohlen wie der seinen heißen Hintern im Eisschrank kühlt, oder Susanna ihm das Hemd aufknöpft, nachdem er sie selbst bereits halb ausgezogen hat. Wie er mit riesiger Axt auf die Tür einschlägt, hinter der er den Nebenbuhler vermutet, ist nicht minder komisch als wenn Irish Setter namens Ginger und Grace keineswegs gelangweilt am Boden fläzen bleiben, sondern einer sich interessiert das Publikum anschaut. So passieren an diesem kurzweiligen Abend auch Sachen, die nicht inszeniert waren, während alles, was im Orchester an feinen Volten zu hören ist, sicher minutiös geprobt wurde.

Selten, vielleicht noch nie, hat man Mozart in diesem intimen Theater, das für seine Werke wie geschaffen ist, so „sprechend“, so melodiös in den Holzbläser-Soli, plastisch noch in den Begleitfiguren der Streicher und fast „historisch informiert“ gehört wie jetzt. Auch wenn nicht mit Darmsaiten gespielt wird, gibt es doch (exzellente) Naturhörner und eine großartige Hammerklavier-Spielerin (Anke Schwabe) in den Rezitativen. Rubén Dubrovsky, der neue junge GMD ab nächster Spielzeit, ist mit Barockmusik aufgewachsen, leitete entsprechende Ensembles und hat am Gärtnerplatztheater unter anderem bereits Händels „Semele“ und Mozarts „Don Giovanni“ dirigiert. Das sind die perfekten Voraussetzungen für ein zeitgemäßes Mozart-Spiel und da das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatzes noch kleiner besetzt ist als sonst, tönt es aus dem Graben in jeder Phrase wunderbar inspiriert, fein gewürzt und immer mit einer Lebenslust, dass man am liebsten mitspielen oder -singen möchte. Denn die Protagonisten auf der Bühne sind exzellent, allen voran Sophie Mitterhuber als Susanna: die Stimme genauso schlank, schön und bezaubernd wie ihre Figur. Ihre berühmte Rosen-Arie des vierten Akts, in der sie einerseits ihrem Bräutigam suggeriert, gleich einen anderen empfangen zu wollen und andererseits ihrer Liebe zu ihm Ausdruck verleiht, wäre der Höhepunkt des Abends, gäbe es nicht auch die tieftraurigen Monologe der Gräfin. In ihnen gibt Ana Maria Labin mit vielen Zwischentönen dem Verlust der intensiven körperlichen wie seelischen Beziehung zu ihrem Mann, dem Grafen Almaviva, tiefen Ausdruck.

Ludwig Mittelhammer kann sich als dieser Conte gar nicht so oft wütend die Haare aus dem Gesicht streichen, wie er mit Verve und einem hellen, virilen Bariton wütend wird. Manchmal singt er so atemlos erregt, dass eine Phrase gar nicht mehr ausklingen kann! Was für ein sexsüchtiger Berserker, bedenklich prachtvoll ausgestattet mit dem, was man heute nicht ohne geheime Bewunderung für die Gefahr, die davon ausgeht, „toxische Männlichkeit“ nennt! Wie anders die mit Macht erst erwachende Begierde von Cherubino. Ihn singt und spielt Anna-Katharina Tonauer so schmelzend verliebt, dass man keine Frau mehr hört und sieht, sondern wahrlich einen pubertierenden Knaben, der von der ihn übermannenden Lust berauscht wird wie von einer Droge. Wie entspannt geht da Bassbariton Levente Páll als Figaro mit seiner bereits gefestigten Männlichkeit um, weiß er sich der aufregenden Liebe zu seiner schönen Susanna doch sicher. Auch er ist zwar vor Eifersucht nicht gefeit, aber die bewältigt er quasi singend und muss nicht zur Waffe greifen, wie des Öfteren der Graf.

Fazit: Witziger und werkgetreuer, charmanter und erotischer in Regie wie musikalischer Gestaltung kann man Mozarts „Tollen Tag“ kaum auf die Bühne bringen. Dafür gab’s noch bei der zweiten Vorstellung begeisterten Applaus und Standing Ovations!

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