Thielemann dirigiert Bruckners Fünfte beim BR-SO

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Gipfelglück

Christian Thielemann sorgt mit Bruckners Fünfter beim Symphonieorchester des BR für eine musikalische Sternstunde

Von Robert Jungwirth

(München, 1. Juli 2023) Christian Thielemann beginnt Bruckners Fünfte im Münchner Herkulessaal mit einer Generalpause. Ein Innehalten zwischen Ankommen im Saal und dem Beginn der Musik. Das ist keine Show, denn Showeinlagen sind Thielemanns Sache eher nicht. Da gibt es andere. Es ist Ausdruck der Konzentration und Sammlung vor der Wiedergabe eines Werks, das ein Gipfelwerk der romantischen Orchesterliteratur darstellt – mit dem „monumentalsten Finale der Weltliteratur“, so Wilhelm Furtwängler. Ein Marathon für alle Beteiligten, eine Gipfelbesteigung – dafür gilt es alle Kräfte, physische wie geistige, aller Beteiligten zu sammeln. Das Publikum ist hier durchaus mit eingeschlossen. Die Generalpause setzte dafür ein klares Zeichen.

Und tatsächlich klingt der zarte Pizzikato-Beginn und der sich anschließende tieftraurige Streichergesang als würden sie aus einer anderen Welt herüberwehen. Ein solches vielfaches Piano an den Beginn zu setzen, war schon von Bruckner eine reichlich unkonventionelle und mutige Entscheidung. Thielemann nimmt sie sehr ernst, nicht einfach als klingendes Nebenbei vor dem Einsatz der stolz auffahrenden Bläserfanfaren. Der Beginn klingt als wären wir in Bayreuth, und das Orchester spielte unter dem berühmten Deckel. Das muss man im offen-transparenten Herkulessaal erst mal hinbekommen. Mit der Generalpause und dem überirdischen Beginn ist der Rahmen gesetzt für eine Aufführung der Fünften, die einfach nur sensationell zu nennen ist in ihrer Klarheit, Stringenz und überragenden dramaturgischen Gestaltung.

Als wollte der frühere GMD der Münchner Philharmoniker, der damals auf sehr ungute Weise das Orchester verlassen musste, zeigen, was München an ihm verloren hat. Das Publikum wusste das freilich schon damals. Es hat Thielemann und seine herausragenden Interpretationen der Werke Bruckners und Strauss‘ immer bejubelt und geschätzt und wollte ihn auch in München behalten. Es waren andere, die das nicht wollten.

Seine Jahre danach in Dresden und die vielen Bayreuth-Dirigate haben Thielemann aber nochmal reifen lassen. Die intime Kenntnis der Werke Bruckners, das Bewusstsein für die enorme Komplexität dieser Musik, die Klarheit und Brillanz in der Ausgestaltung der Kontrapunktik haben nochmal eine Steigerung erfahren. Das war an diesem Abend im Münchner Herkulessaal über die gesamte Dauer dieser Symphonie hinweg bei jedem Einsatz, bei jeder dynamischen Veränderung, jeder Steigerung zu spüren. Dieses Maß an Gestaltungswille und Transparenz in einem schier undurchdringlichen Geflecht von Themen, deren Abwandlungen und Bezügen untereinander, war beeindruckend. Perfekt austariert gerieten die so heiklen Übergänge, die ungeheuren Kontraste, die Entwicklung von Höhepunkten und Kulminationen, die Steigerungsbögen und die Diminuendi.

Nie gab es in diesem Konzert auch nur einen Spannungsabfall, einen Knick in der Aufmerksamkeit – weder bei den Musikern noch im Publikum. Alles war bis ins letzte Detail überlegt und überlegen ausgestaltet – ohne dabei je abgezirkelt zu wirken. Die überragenden Momente des Grandiosen, des Monumentalen, auch des Sakralen waren stets eingebettet in einen dialektischen Zusammenklang der Gegensätze, alles hatte seine Plausibilität, seine Entwicklung und das in einer Musik, die quasi das Improvisatorische zum Gestaltungsprinzip erhebt. Stringenz und Spannung, die Thielemann mit den phänomenalen Musikern des BR-SO hier kreierte, gerieten zum Teil geradezu atemberaubend überwältigend. Wie sehr wäre es Anton Bruckner zu wünschen gewesen, solches selbst einmal erleben zu dürfen. Er hat seine fünfte Symphonie Zeit seines Lebens nicht vollständig gehört. Ignoranz und Feindseligkeit gegenüber einer neuen, Wagnerschen Tonsprache ließen das vor allem in seiner Heimatstadt Wien nicht zu. Und als sich das Blatt für ihn wendete und seinen Werken Ruhm und Anerkennung zuteil wurde, verhinderte Bruckners Gesundheitszustand lange Reisen zu Aufführungen.

Was Bruckner in seiner Fünften leistete ist kaum beschreibbar. Zu vielfältig und komplex sind die Bezüge. Man kann auf das Bild einer langen Bergbesteigung ausweichen, um sich vorzustellen, was dem Hörer und den Musikern in diesem Werk begegnet. Es gibt unfassbar erhabene und erhebende Ausblicke auf grandiose Berglandschaften, die ständigen Veränderungen durch Licht- und Ortswechsel unterliegen. Man sieht ein und denselben Berg in ständig sich verändernder Form – und doch ist es immer derselbe Berg. Es gibt die Mühen des Aufstiegs und Glücksgefühle, innere Monologe und Jubelgesänge. Das ungefähr passiert in Bruckners Musik. Es war eine denkwürdige Aufführung, die Christian Thielemann und das BR-SO in München boten. Zu hören heute in Bamberg und morgen in Bad Kissingen – und in der Audiothek von BR-Klassik.

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