John Cage und Wolfgang Rihm bei der Salzburger Ouverture spirituelle

Film ohne Inhalt und Musik des Zufalls

Von Robert Jungwirth

Die Salzburger Ouverture spirituelle bringt einen Cage-Abend und eine Begegnung von Rihm mit der niederländischen Vokalpolyphonie

(Salzburg, 24. und 25. Juli 2023) Es zeugt schon von einigem Mut, im Konzertprogramm der Salzburger Festspiele einen Abend mit Werken von John Cage anzubieten. Auf der anderen Seite sind die übrigen Programmpunkte der diesjährigen Ouverture spirituelle auch nicht unbedingt weniger avanciert, wenn man etwa an die Stücke von Gerard Grisey denkt oder „Wo bist du, Licht!“ von Claude Vivier (siehe Artikel auf KlassikInfo). Dagegen ist die Musik von John Cage sogar freundliche Meditationsmusik.

Im Zentrum des Abends in der Kollegienkirche, in der alle Konzerte der Ouverture spirituelle stattfinden, stand Cages Film One11 aus dem Jahr 1992 – ein Jahr vor einem Tod. Er ist ein 90-minütige Variation über Licht und Schatten, ohne Inhalt, ohne Text, ja ohne Bilder nur schwarz und weiß und Übergänge. Entstanden ist sie durch Zufallsoperationen, die Cage dann einem Filmteam weiterreichte, die für die Umsetzung verantwortlich waren. Eine Begleitmusik ist möglich, aber nicht zwingend vorgeschrieben.

In Salzburg wählte man seine Number Pieces aus dem zeitlichen Kontext des Films. Auch diese Musik ist (natürlich) durch Zufallsoperationen entstanden, außerdem können die Musiker – ihre wechselnde Zahl ist vorgegeben – selbst entscheiden, wann und in welcher Lautstärke sie jede Note spielen möchten. Die Mitglieder des Klangforums Wien haben sich dazu im gesamten Kirchenraum verteilt – einschließlich der Orgel. Und die Wirkung dieser Ton- und Klangmeditation in Verbindung mit dem handlungsfreien Film war eine durchaus sehr besondere, wenn man sich darauf einließ. Und das musste man zwangsläufig während der 90 Minuten.

Das Publikum tat dies auch höchst bereitwillig und schien auch durchaus Gefallen daran zu finden, der Zufallskunst zu lauschen und ihr auf der Leinwand zuzusehen und sich dazu z.B. ein paar Gedanken darüber zu machen, was ein Ton ist, wie er wirkt, warum er so oder so wirkt, wie er sich im Kirchenraum entfaltet und verklingt, wie kreatürlich dieser Vorgang doch eigentlich ist und wie kreativ wir doch eigentlich sind, wenn wir solche solche Prozesse wahrnehmen und und und. Der Musikphilosoph und bekennende Buddhist John Cage bietet mit Kompositionen wie dieser vielfältige Reflexionsmöglichkeiten, und das Verblüffende dabei ist, dass die Vorgaben, die Cage für die Musiker macht, trotz aller Freiheiten und Zufälligkeiten dann doch immer spannende klangliche Ergebnisse ergeben.

Tags darauf war dann wieder „normale“ Musik zu hören. Das belgische Huelgas Ensemble, das seit gut 50 Jahren eine Institution in Sachen Vokalmusik der Renaissance und des Mittelalters ist, brachte unter der Leitung des nicht minder legendären Dirigenten Paul van Nevel einen Ausschnitt aus Orlando di Lassos Motetten-Zyklus „Prophetiae Sibyllarum“ in einen musikalischen Dialog mit Wolfgang Rihms quasi Requiem „Et Lux“.

Rihm komponierte „Et Lux“ 2009 für Vokalensemble und Streichquartett und schuf damit eine ebenso beziehungsreiche wie faszinierende Verbindung von Referenzen an die niederländische Vokalpolyphonie mit überaus differenzierten klanglichen Techniken der Musik des späten 20. Jahrhunderts. So wie sich bei den Niederländern Homophonie und Polyphonie abwechseln und in verschiedenen Ausprägungen zu immer neuen Komplexitäten aufschwingen, so tut dies auch Rihm mit einer dichten Polyphonie, die mal tonal, mal spektral wirkt und dabei vom Streichquartett beziehungsreich begleitet bzw. akzentuiert wird – zum Teil geräuschhaft, zum Teil kantabel. In inniger Verbindung mit dem bis in kleinste polyphone Verästelungen hinein perfekt intonierenden Chor agierte hier das Minguet Quartett.

Den Text der katholischen Lithurgie des Requiems ordnet Rihm neu an und setzt damit seinerseits besondere Akzente auf die Themen Lux perpetua luceat und Libera eas. Weniger stark geht es ihm um die Themen „Tag des Zorns“ oder das „Zittern“ vor dem Ende – auch wenn das in nervösem Pizzikato durchaus hörbar wird….Im Zentrum stehen die zunächst zärtliche Visionen oder Anrufungen des ewigen Lichts, die dann einem unruhigen Zweifeln und Ungewissheit weichen und schließlich in geradezu flehentliche Rufe nach „Befreiung“ münden. Eine enorm eindringliche Komposition des Agnostikers Rihm, die singulär in seinem Schaffen ist und zu seinen stärksten Kompositionen zählt – im Kontext der Lux aeterna-Thematik des diesjährigen Festivals ideal platziert.

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