Händels erstes Oratorium begeistert am Münchner Gärtnerplatztheater

Wenn die Schönheit mit der Zeit streitet

Händels Diskurs-Oratorium „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ in einer phantastischen Aufführung am Münchner Gärtnerplatztheater

Von Robert Jungwirth

(München, 27. Dezember 2023) Gut 25 Jahre ist es her, da hat der damalige Intendant der Bayerischen Staatsoper Peter Jonas mit einer Serie von Händel-Opern eine Hochzeit der Barockmusik in München eingeläutet – zumindest an seinem Haus. Und das Wagner- und Strauss-Orchester der Staatsoper lernte historisch informiert zu spielen. Damals war das geradezu revolutionär. Heute gehört es bei vielen Orchestern fast schon zu den erwartbaren Qualifikationen – mehr oder minder. Mit der Barockmusik-Pflege war es nach Jonas‘ Weggang aus München aber auch schon wieder weitgehend vorbei. Nikolaus Bachler hatte kein wirkliches Interesse an dieser Epoche und sein Nachfolger nimmt Barock immerhin als Farbtupfer mit ins Programm. In diesem Sommer gab es mit „Semele“ eine hochgelobte Händel-Produktion an der Staatsoper.

Auch am Münchner Gärtnerplatztheater haben sich Dirigenten immer wieder für Barockes interessiert.
So auch jetzt der neue Chefdirigent Rubén Dubrovsky, der sogar schon zwei Barockensembles gegründet und sich dementsprechend intensiv mit dieser Musik beschäftigt hat (so etwa das Bach Consort Wien). Das demonstrierte er jetzt beeindruckend mit einer konzertanten Aufführung von Händels erstem Oratorium mit dem Titel „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“, zu deutsch: „Der Triumph der Zeit und der Erkenntnis/Wahrheit“.

Händel hat das Werk 1707 mit 22 Jahren in und für Italien komponiert. Die Textvorlage für das allegorische Diskursstück über die Frage nach der Bedeutung von Schönheit und Vergnügen im Widerstreit mit der Zeit und der Erkenntnis lieferte der römische Kardinal Benedetto Pamphilj, der ein glühender Opernfan und Förderer des jungen Händel war.

Dass Händel aus einer an sich papiernen Vorlage ein zweieinhalbstündiges, höchst lebendiges und vielgestaltiges Oratorium kreieren konnte, dem man in jeder Minute mit Genuss zuhört, spricht ganz entschieden für die Hochbegabung des jungen Händel, aber auch ein bisschen für den gewitzten philosophischen Text des Kardinals, der nur im zweiten Teil etwas flach wird. Genau dann, wenn es der Schönheit und dem Vergnügen klerikal eindimensional an den Kragen geht. Bis dahin entspinnen sich durchaus vergnügliche Streitgespräche zwischen den Figuren über das Verhältnis von Schönheit und Zeit, Vergnügen und Wahrheit usw. Bis das alles durchdekliniert ist, dauert es.

Natürlich ist das keine Oper, was Händel hier komponiert hat, aber es fehlt nicht viel, und es wäre eine geworden. Die Musik ist ohnehin opernhaft wirkungsvoll. Und vor allem ist sie hochvirtuos, was das von Rubén Dubrovsky sehr kenntnisreich und animiert geleitete Orchester des Gärtnerplatztheaters unter Zuhilfenahme einiger externer Barockexperten grandios umsetzt. Das Solo-Cello (Stefan Schütz) verströmt sämigsten Continuo-Wohlklang und bewältigt daneben abenteuerliche Läufe, die Solo-Violine (die wunderbar barockversierte Konzertmeisterin Katja Lämmermann) spielt sprudelnde Prestissimo-Girlanden mit der größten Leichtigkeit, was man auch über die Solo-Oboe sagen kann – auch wenn es sich um kein historisches Instrument handelt. Vor allem diese drei Musiker*innen kann man gar nicht genug loben.

So prägnant und virtuos hat man wohl noch keinen Händel am Gärtnerplatztheater gehört – zumindest der Autor nicht. Und die vier Gesangs-Solistinnen und -Solisten stehen dem nicht nur nicht nach, sondern setzen dem instrumentalen Geschehen nach vokale Glanzlichter auf. Hanna Herfurtner als Schönheit mit quellreinem Sopran, Sophie Rennert als Vergnügen mit klangvoll grazilem Mezzo, Terry Wey als Erkenntnis mit klangvoll schlankem Counter-Tenor und Gyula Rab als Zeit mit beweglich-virtuosem Tenor. Die Vier bilden eine in ihren jeweiligen charakteristischen Klangfarben ideal zueinander passendes musikalisches Gespann.

Das Publikum klatschte sich im Lauf der Aufführung immer mehr in Begeisterung – nach jeder Arie wurde der Applaus lauter – wobei der auch dem jungen Händel galt und seinem unerschöpflichen Erfindungsreichtum. Ein beeindruckendes Händel-Konzert, das noch am 27. 12. und am 6. Januar zu hören ist. Man sollte es sich nicht entgehen lassen – und man darf sich auf weitere Barockmusik mit Rubén Dubrovsky am Münchner Gärtnerplatztheater freuen.

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