Das Finale Bratsche beim ARD-Musikwettbewerb

Innenschau versus Extroversion

Mit dem Finale Bratsche gehen die Wettbewerbsdurchgänge beim ARD-Wettbewerb zu Ende – drei Preisträgerkonzerte folgen noch

Klaus Kalchschmid

(München, 10. September 2023) Die drei Finalisten im Fach Bratsche hätten schon im Semifinale unterschiedlicher nicht sein können: Hier die erst 23-jährige Südkoreanerin Haesue Lee, die Franz Anton Hoffmeisters Konzert D-Dur für Viola und Orchester mit (allzu) sattem Ton, aber lupenrein schön spielte. Dort mit demselben Konzert der Japaner Takehiro Konoe, der jede Phrase dieses um 1800 komponierten Konzerts wunderbar erfüllt spielte, ohne je aufzutrumpfen und knappe, stilistisch perfekt sich in die Komposition einfügende Kadenzen wählte.

Ein wieder ganz anderer Zugriff dann bei Ionel Ungureanu. Er offenbarte herrliches Musikantentum nicht zuletzt im Finale des ersten Bratschenkonzerts von Carl Stamitz aus dem Jahr 1774. Das war frech, frei und frisch gespielt ohne Angst vor blue notes, also gewissen Intonationstrübungen bei sehr schnellem Spiel. Sie störten freilich kaum, weil sie der unweigerliche Nebeneffekt einer überbordenden Spiellust waren. Daneben vermochte Ungureanu zu verblüffen mit großen, ebenso virtuosen wie expressiven Kadenzen. Sie fanden sofort den Weg vom 18. Jahrhundert in die Romantik und endeten fast atonal im 21. Jahrhundert. Das entwickelte eine enorme Sprengkraft, die gleichwohl ebenso musikalisch wie technisch überzeugte!

Und nun das Finale: Takehiro Konoe hatte sich mit dem Viola-Konzert von William Walton aus dem Jahr 1929 wohl leider das falsche Stück gewählt. Denn hier ist nicht Dezenz gefragt und noble Zurückhaltung. Vielmehr wollen die lebendigen, mit viel Blick auf die Wirkung komponierten Orchestertuttis, hier vom Symphonieorchester des BR unter Andrew Grams farbenreich gespielt, vom Soloinstrument selbstbewusst aufgegriffen und weitergeführt werden. Stattdessen entschied sich der Japaner für introvertierte Intermezzi, was nicht zuletzt das Finale auseinanderfallen ließ. Hätte er sich doch ebenfalls für das eher herbe Bartók-Konzert, Hindemiths „Der Schwanendreher“ oder Iván Eröds teils fein kammermusikalisches Bratschenkonzert aus dem Jahr 1980 entschieden. So reichte es, wie schon 2018 als Konoe bereits die Bronzemedaille beim ARD-Musikwettbewerb gewann, wieder nur für Platz Drei.

Auch Haesue Lee hatte das spätromantische Walton-Konzert gewählt und wusste sehr genau, warum sie das tat. Ihr satter, süßer Ton und ihr Instrument waren perfekt dafür und sie besaß nicht nur die Bereitschaft, sondern auch die Fähigkeit, einen lebendigen konzertanten Dialog mit dem Orchester zu führen. So bewies sie in jeder Hinsicht die von den Statuten des Wettbewerbs für Preisträger geforderte „Podiumsreife“, was ihr den ersten und den Publikumspreis bescherte.

Zu Beginn hatte sich Ionel Ungureanu das späte, von Tibor Serly instrumentierte Bratschen-Konzert von Béla Bartók ausgesucht. Auch hier erwies er sich wie schon im Semifinale als begnadeter Musikant. Lebhaft kann man sich vorstellen, wie er in der von ihm gegründeten Sinti/Jazz-Band „Borsch4Breakfast“ den Ton angibt. Dass er dafür am Ende ebenfalls den dritten Preis errang (ein zweiter wurde nicht vergeben), aber auch den für die beste Interpretation des Auftragswerks „Doryphóros – Der Speerträger“ von Alberto Posadas erhielt, darf als Beweis für seine hohe Musikalität gelten. Denn aus dem zehnminütigen, enorm anspruchsvollen, hochvirtuosen Stück packende Musik zu machen, gelang nicht allen Semifinalisten. Man durfte staunen, mit welchem Elan, welcher technischen Fertigkeit und Musikalität sich die späteren Finalisten diesem Werk im Semifinale widmeten und die heiklen Flageoletts zur Erzeugung von Obertönen und die damit verbundenen Mehrfachgriffe nicht nur technisch brillant meisterten, sondern jeden Akkord und das durchweg schnell fließende chromatische Parlando bestechend klar und schön in musikalischen Beziehungsreichtum ummünzen konnten. Dazu legten sie am Ende noch jeweils einen Endspurt hin, der mit einer effektvoll dramatischen Coda ein kleines Meisterwerk krönte.

Die Konzerte am 13., 14. und 15. September versammeln noch einmal alle Preisträger in den Fächern Harfe, Kontrabass, Klaviertrio und Bratsche des diesjährigen ARD-Musikwettbewerbs. Infos, Tickets und Videos on demand auf www.ard-musikwettbewerb.de

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