Zemlinksys Traumgörge in Frankfurt

Das Leben ein Traum?

An der Oper Frankfurt haben Tilman Köhler und Markus Poschner Alexander von Zemlinskys „Der Traumgörge“ auf die Bühne gebracht.

Von Roberto Becker

(Frankfurt, 29. Februar 2024) Das 20. Jahrhundert hat diesen Komponisten schlecht behandelt. Da war die geplatzte Uraufführung seiner vierten von insgesamt neun Opern, „Der Traumgörge“, die ihm Gustav Mahler an der Wiener Hofoper vor über einhundert Jahren zugesagt hatte, noch ein eher kleinerer Rückschlag für den 1871 geborenen Alexander von Zemlinsky. Mahler schmiss nämlich selbst kurz vor der Uraufführung seinen Direktorenposten in Wien hin, weil es ihm in diesem Intrigenstadl zu bunt geworden war. Für seinen Nachfolger war damit dieses Vorhaben gleich mit erledigt. Dann geriet bekanntlich das Jahrhundert aus den Fugen. „Der Traumgörge“ wurde jedenfalls erst 1980 (!) in Nürnberg das erste Mal aufgeführt. Dem im amerikanischen Exil 1942 verstorbenen Juden Zemlinsky schuldet die erst von einer ungebrochenen Strauss’schen Klangübermacht und dann vom Diktat einer innovationsversessenen Moderne geprägte Musik-Nachwelt freilich immer noch eine zumindest postume Chancengleichheit für seine Werke.

Da die Oper Frankfurt nicht nur Orientierung in Sachen musikalischer Qualität ist, sondern man sich auch bei der Programmpolitik auf Durchdachtes verlassen kann, hat es nicht nur seine Richtigkeit, den selten zu sehenden „Traumgörge“ auf die Bühne des Hauses zu bringen, sondern auch, ob der notorischen musikalischen Qualität des Hauses, die zweite Vorstellung gleich für eine NAXOS-CD-Einspielung zu nutzen und die Sänger (deshalb) mit Mikros auszustatten.

Leo Felds Libretto für diesen Zweiakter mit ausführlichem und etwas seltsamem Nachspiel erzählt die Geschichte Görges (was norddeutsch für Georg steht) und verarbeitet mehrere Vorlagen zu einer jugendstilgängigen Märchenoper. Mit einem träumenden jungen Mann, der aus dem Leben, das ihm zugedacht war, ausbricht, sich nicht wie vorgesehen verloben lässt, nach seinem Lebenstraum (d.h. seiner Traumprinzessin) sucht und in der harten Lebenswirklichkeit „ganz unten“ ankommt. Dort findet er zwar nicht seine Traumprinzessin, aber die als Brandstifterin verschriene Gertraud. Sie kann er im letzten Moment vorm Lynchmord durch einen Mob retten, der ihn selbst gerne als rhetorisch begabten Anführer vor seinen Karren gespannt hätte.

Das Nachspiel ist so eine Art verklärendes Happyend. Görge und Gertraud sind geachtet und geehrt inmitten einer geläuterten Gesellschaft. Görge ist nunmehr mit der Alterserkenntnis gesegnet, dass Gertraud seine Traumprinzessin ist. Wie die beiden sich da ansingen, das ist so, als wenn Tristan und Isolde überlebt hätten und zusammen alt werden würden. Dieses Nachspiel ist schwer erträglich und könnte in seiner hemmungslosen Verklärung zur tödlichen Falle für die Bühnenversion einer Oper werden, deren Ausgrabung sich allein schon wegen der Orchesteropulenz lohnt, die es in der Wagner- und auch Brahmsnachfolge durchaus mit Richard Strauss aufnehmen kann, und dabei zugleich in ihrer eigenen Originalität besteht.

Diese Klippe eines verkitschten Happyends umgeht Regisseur Tilman Köhler in dem mit schmucken Holzdielen ausgeschlagenen Bühnenkasten von Karoly Risz. Er legt sich im Grunde nicht fest, ob dieses Ende in einer Familien- und Dorfidylle das Ende dieser Geschichte oder doch nur ein Traum ist.

Der Abend beginnt in der Idylle einer heiklen Zweierbeziehung. Dem verträumten Büchernarr Görge, für den AJ Glueckert stets das rechte Maß aus Verträumtheit und Auftrumpfen bereit hat, und seine Grete, die Magdalena Hinterdobler handfest im Griff und in der Kehle hat, sollen ein Paar werden. Dass das wohl nicht das Richtige ist, wird spätestens dann klar, als der extrovertiert lebenslustige Hans (Liviu Holender) aus dem Krieg zurück ins Dorf kommt und offensiv um Grete wirbt. Görge flüchtet indes in seine Welt der Märchen und begegnet dort seiner Traumprinzessin. Susana Marková taucht hier tatsächlich mit einer Rose in der Hand auf.

All das wirkt bis zur Pause noch recht schlicht, wechselt dann aber die Gangart hin zu einer Dramatik, die sozusagen von außen kommt. Plötzlich ist von Krieg die Rede und von Aufruhr. Görge kehrt nach seiner Flucht in die Welt zurück und soll – obwohl immer als Außenseiter behandelt – jetzt einen Aufstand anführen. Was er wohl auch gemacht hätte, wenn nicht die Bedingung daran geknüpft worden wäre, sich von Gertraud zu trennen. Seine Traumprinzessin von einst hatte er nämlich im wirklichen Leben in ganz anderer Gestalt als die von allen verachtete und ausgestoßene angebliche Brandstifterin Gertraud gefunden. Görge verweigert nicht nur diese Trennung, er versucht sie auch vor dem Mob zu schützen. Die vor allem von Marei (Juanita Lascarro) und auch Kaspar (fulminant: Iain MacNeil) aufgehetzten Massen umringen am Ende des zweien Aktes beide. Man könnte sich gut vorstellen, dass das ihr Ende ist. Wenn sich dann aber der Vorhang wieder hebt, sehen wir die beiden als geachteten Mittelpunkt einer friedlichen Dorfgesellschaft…..

Da Köhler nicht versucht hat, den „Traumgörge“ gegen den inhärenten Märchenstrich zu bürsten und ihn dadurch zu verteidigen, sondern mit märchenhaftem Rückenwind auf Kurs zu bleiben, wird die Idylle des Epilogs zu einem Angebot ans nachgeborene Publikum, das ganze als Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Oder als Traumtänzerei zu verwerfen.

Die wunderbar irisierende, mit Daueropulenz aufwartende musikalische Überwältigung für die Markus Poschner mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester sorgt und zu der neben dem durchweg vorzüglichen Protagonisten auch der von Tilman Michael einstudierte Chor seinen Beitrag liefert, die gibt es so oder so!

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