Glanerts Die Jüdin von Toledo in Dresden uraufgeführt

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Die Liebe ein Traum

Detlev Glanerts neue Oper „Die Jüdin von Toledo“ wurde an der Semperoper Dresden erfolgreich uraufgeführt

Von Joachim Lange

(Dresden, Februar 2024)  Dass eine Versöhnung zwischen den Religionen ein Traum bleibt gehört zur deprimierenden Botschaft dieser neuen Oper von Detlev Glanert. Für den Komponisten und das Haus mit reichlicher Uraufführungstradition war es ein Triumph. Dass vor allem der aktualisierende Schluss der Inszenierung von Robert Carsen im Nachhinein eine Kontroverse auslöste, spricht eher für die Brisanz des Sujet als gegen das Stück. Ob der Einwand des Historikers Michael Wolffsohn in der Neuen Zürcher Zeitung, dass dies eine skandalöse Israel-Kritik sei, die Judenfeindschaft legitimiere, wurde vom Publikum und der Kritik jedenfalls nicht so gesehen. Auch diese Kontroverse ist ein guter Grund, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Die Uraufführung einer Oper von Detlev Glanert ist per se ein Ereignis – egal wo sie stattfindet. Das gilt auch für seine neueste mit dem Titel „Die Jüdin von Toledo“ für die Hans-Ulrich Treichel, nicht aus Feuchtwangers Roman, sondern aus dem gleichnamigen Drama von Franz Grillparzer aus dem Jahre 1855 das Libretto destilliert hat. Es geht um einen schwachen König (heute würde man sagen in einer midlife crises), der sich von der Liebe zu der jungen Jüdin Rahel gefangen nehmen lässt und sich systematisch seiner Gemahlin Eleonore von England und der von ihr vehement eingeforderten Staatsräson entzieht. Dabei verzögert er den bevorstehenden Kampf gegen die Mauren so weit, dass es auch die Granden seines Reiches (den Staatsrat) in Rage bringt und seine von der Königin initiierte Absetzung droht. In die Enge getrieben stimmt er der Ermordung Rahels zu.

Das Segnen der Waffen für die Soldaten, die sehr heutig aussehen, eingeblendete Videos der Zerstörungen, die gegenwärtig jede Nachrichtensendung beherrschen und die zu Boden gehenden Soldaten aller Seiten, bleiben als Schlussbild zum Finale der Inszenierung im Gedächtnis. Robert Carsen hat sie erst spät eingefügt. Dass der kleine Sohn des Königs, der (wie Gottfried in Wagners Lohengrin) fragend ins Publikum blickt, hier etwas ändern kann, ist kaum zu erwarten.

Macht schlägt Gefühl – eine Versöhnung zwischen den Religionen bleibt ein Traum. Das ist die deprimierende Botschaft des Abends. Eines der stärksten Bilder in Robert Carsens Inszenierung bleibt denn auch der geträumte Gegenwurf. Da beten nämlich im Hintergrund einer ausführlich zelebrierten Liebesnacht zwischen dem König und seiner Geliebten Christen, Juden und Mauren alle auf ihre Art und begegnen sich in gegenseitigem Respekt.

Glanerts Musik dazu hat zum Glück (wie immer) nichts konstruiert Didaktisches. Den 1960 geborenen, viel gespielten Komponisten nach einem Dutzend Opern noch als Hans-Werner-Henze Schüler zu bezeichnen, hat nurmehr retrospektiven Wert. Einer von dessen Nachfolgern ist er schon. Und auch einer – selbst wenn das nicht nach Avantgarde klingt – von Richard Strauss. Auf dessen Uraufführungen war die Semperoper ja geradezu abonniert. Dass die Sächsische Staatskapelle heute als das Straussorchester par excellence gilt, schließt ein, dass sie auch für Komponisten wie Glanert ein idealer Partner ist.

Was der Dirigent Jonathan Darlington hier an opulentem Klangzauber mit ganz eigner, geradezu betörender Färbung aus dem Graben aufsteigen lässt, ist schlichtweg atemberaubend. Von den faszinierend auftrumpfenden Zwischenspielen bis zu den perfekt mit den Gesangspartien verwobenen Passagen.
Genauso geht Oper, die nicht auf dogmatisches Neuerertum um jeden Preis aus ist, sondern sich den ererbten Apparat und die bewährten Strukturen souverän anverwandelt und beim Publikum ankommen, ja es emotional packen will.

Was tut’s, wenn man gelegentlich die Großmeister der Spätromantik aus der Ferne durchhört und etwa beim großen nächtlichen Liebesduett von König Alfonso und seiner Geliebten Rahel an Wagners Tristan und Isolde (oder auch Berlioz’ Dido und Aeneas) denken muss. Oder wenn die Vehemenz, mit der die machtbewusste Königin ihren Mann (aus ihrer Sicht und der des Staates völlig nachvollziehbar) wieder zur Vernunft bringen will, daran erinnert, wie Fricka in der „Walküre“ von Wotan das Leben von Siegmund fordert! Es spricht für das Format von Glanerts neuer Oper, wenn derartige Bezüge von Ferne aufscheinen. Auch, weil Glanert eben nie einfach wildert und sich bedient, sondern im Schatten der Großen frei atmet und seinem eigenen Stern folgt.

Neben der Sächsischen Staatskapelle und der gradlinig aufs Exemplarische der Emotionen und Sachzwänge zielenden Inszenierung Carsens zu deren Ausstattung auch Luis F. Carvalho beigetragen hat, kommt der vokale Luxus, den ein Haus wie die Semperoper zu bieten hat.

Heidi Stober ist eine jugendliche Rahel, der man ihre wilde Unbekümmertheit ohne weiteres abnimmt. Der in seiner differenzierten Gestaltung überzeugende Christoph Pohl ist ihr als schwache König Alfonso so verfallen, dass man die furiose Wucht, mit der Tanja Ariane Baumgartner die machtbewusste, letztlich triumphierende Königin Eleonore in jeder Hinsicht ausstattet gut nachvollziehen kann. Aber auch Markus Marquardt als Marnrique, Graf von Lara und Lilly Jørstad als Rahels Schwester ragen heraus. Und natürlich der von Jonathan Becker einstudierte, wie immer fabelhafte Staatsopernchor. Am Ende bejubelt das Premierenpublikum in Dresden einen Triumph! Für Glanert, das Haus und das Genre!

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