Haubenstock-Ramatis Oper Amerika an der Oper Zürich

Kafka-Experiment

Roman Haubenstock-Ramatis aufwendige und selten gespielte Oper „Amerika“ nach Franz Kafka ist jetzt an der Oper Zürich zu sehen

Von Robert Jungwirth

(Zürich, 3. März 2024) Über keinen deutschsprachigen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts wurde so viel geschrieben wie über Franz Kafka. Und man darf davon ausgehen, dass im 100. Todesjahr Kafkas noch einmal ein Schwung dazu kommen wird. Aber auch Komponisten haben sich von Kafkas Texten anregen lassen, etwa Hans Werner Henze, Aribert Reimann, Gottfried von Einem, Philip Glass oder Bruno Maderna. An der Züricher Oper hatte jetzt ein Musiktheater Premiere, das 1966 bei seiner Berliner Uraufführung heftige Kontroversen auslöste und danach nur sehr selten zu hören war: Roman Haubenstock-Ramatis „Amerika“ nach dem gleichnamigen Roman-Fragment. Die Züricher Oper kündigte ein spektakuläres Musiktheaterwerk an.

Und spektakulär ist diese Produktion ohne Frage, wenn man allein den Aufwand betrachtet, der für diese Aufführung nötig ist. Neben dem Orchester im Graben gibt es bis zu drei weitere Orchester – diese allerdings sind vom Tonband zu hören, aber als Raumklang aus unterschiedlichsten Winkeln des Theaters. Spektakulär ist auch die Partitur, weil sie mit grafischer Notation arbeitet und auch den Musikerinnen und Sängern gewisse Freiheiten lässt: Tempo und Einsätze sind nicht zwingend vorgegeben. Das setzt eine enorme Koordinationsleistung voraus, und der Dirigent der Produktion Gabriel Feltz, aber auch das gesamte Ensemble aus Musikern und Sängerinnen und Sängern leisten hier Enormes. Mojca Erdmann sticht stimmlich als tirilierende Klara bzw. Theres heraus, Paul Curievici als Karl bleibt dagegen ein wenig blass. Feltz sagt, dass er ungefähr ein halbes Jahr gebraucht hat, bis er die Partitur entschlüsselt hat.

Haubenstock-Ramati hat das Roman-Fragment, das Kafka mit „Der Verschollene“ betitelt hat und von dem Herausgeber posthum in „Amerika“ umgewandelt wurde, in 24 kurze Szenen gegliedert, inklusive zahlreicher Tanzpantomimen, die ebenfalls komponiert sind. Der Komponist, der das Libretto selbst verfasst hat, bezeichnet „Amerika“ zwar als Oper, aber de facto wollte er alles andere als eine Oper im herkömmlichen Sinn schreiben. Ihm ging es nicht um eine Vertonung der Vorlage, sondern um das Kreieren kaleidoskopartiger musikalischer Bilder – manchmal mit Gesang, oft aber auch mit gesprochener Sprache – die den sozialen Abstieg der Hauptfigur Karl Rossmann widerspiegeln. Die Linearität des Erzählens war Haubenstock-Ramati ebenfalls nicht so wichtig und auch die Szenenfolge könnte man variieren, so der Komponist.

Allerdings hat Regisseur Sebastian Baumgarten die Chronologie des Abstiegs des Auswanderers Rossmann in Amerika weitgehend beibehalten, was für die Nachvollziehbarkeit der Geschichte sicher kein Fehler war. Dabei beginnt er so realistisch, dass man sich fast die Augen reibt und lässt bei Karls Schiffs-Ankunft in New York in Dauerschleife Statisten Koffer durch den Schiffsbauch schleppen. Glücklicherweise bleibt es nicht bei dieser Art der Bebilderung und Baumgarten verlegt sich auf eine grotesk-karikaturistische Spielart, die dem Rätselhaften der Vorlage ebenso gerecht wird wie dem bei Kafka eben auch meist enthaltenen Humor.

Ganz herausragend ist die Licht-Regie und der Einsatz von filmischen Elementen, die das Labyrinthische des Romans optisch eindrucksvoll umsetzen (Ausstattung: Christina Schmitt, Licht: Elfried Roller, Video: Robi Voigt). Das korrespondiert auch sehr gut mit der oft sehr punktuellen, reduzierten, aber durchaus spannenden Musik – vor allem in dem Kapitel „Vermutungen über ein dunkles Haus“, dem eine später als eigenständiges Musikwerk herausgegebene hochkomplexe Raumklang-Musik zugrunde liegt und die gänzlich ohne Handlung und Text auskommt – nur Musik und Bilder transportieren hier den „Inhalt“.

Ein Experiment bleibt die Oper dennoch – das hat schon mit den vielen Variabilitäten der Partitur zu tun. Jede Aufführung kann zu völlig anderen Ergebnissen führen. Für ein Stadttheater ist das natürlich kaum umzusetzen – auch die vielen Surround-Klänge stellen hohe Anforderungen. An der Zürcher Oper kam sogar KI zum Einsatz, wie es heißt. Und auch in ihrer sehr freien Art des Erzählens, oder soll man besser sagen Nicht-Erzählens, ist diese Oper auch knapp 60 Jahre nach ihrer Uraufführung nach wie vor ein Wagnis, das nicht immer gelingen muss. Aber wer die Gelegenheit hat, die Züricher Produktion zu sehen, sollte sie sich nicht entgehen lassen – es ist die sicherlich ungewöhnlichste Kafka-Oper, die es in der Literatur gibt…

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