Blomstedt mit allen Bruckner-Symphonien auf CD

In der Ruhe liegt die Kraft

Blomstedt mit Bruckners Symphonien – und eine DVD porträtiert ihn bei seiner Arbeit

Von Robert Jungwirth

Herbert Blomstedt gilt seit vielen Jahren als einer der weltweit herausragenden Bruckner-Dirigenten. Wie Sergiu Celibidache, Günter Wand oder Bernard Haitink hat auch er in seinen späteren Jahren zu einer bezwingenden Interpretationsweise dieser Musik gefunden. Und so ist es bis heute – in Blomstedts 96. Lebensjahr – geblieben. Es ist tatsächlich singulär, dass ein über 90-Jähriger eine Neuaufnahme aller Bruckner-Symphonien vorlegt. Die Einspielungen entstanden allerdings bereits in einem früheren Zeitraum – von 2005-2012.

Wie schon bei seinem vielgelobten Beethoven-Zyklus geht es Blomstedt auch mit dieser Mammut-Einspielung nicht darum, sich selbst und einem staunenden Publikum seine Vitalität zu beweisen – eitle Selbstdarstellung ist diesem Musiker ohnehin fremd – es geht ihm darum, künstlerische Aussagen zu treffen und diese mit maximaler Klarheit und Stringenz darzustellen. Wie schön, dass wir daran Teil haben können.

Schon in den ersten beiden Symphonien Bruckners, die viele Dirigenten gerne links liegen lassen, weil sie ihnen zu „unbedeutend“ erscheinen, demonstriert Blomstedt eine beredte Tiefsinnigkeit und spannungsvolle Lebendigkeit wie man sie nur selten in diesen Werken zu hören bekommt. Das hat Größe und Grandiosität, aber ohne Nachdrücklichkeit oder gar Aufdringlichkeit, ohne Forcieren und weihevolles Zelebrieren. Wer diese Symphonien für bedeutungslose „Vorstufen“ der späteren hält, kann sich von diesen Aufnahmen eines besseren belehren lassen.

Gewiss deutet manches in diesen Werken auf Späteres voraus bishin zu ähnlichen Motiven. Aber bei Blomstedt bekommen diese Werke ihre volle Gültigkeit also solche, sie sind keine Vorstufen, sondern Meisterwerke auf dem Weg zu noch größeren Meisterwerken. Genau als solchen widmet Blomstedt sich ihnen und macht dadurch ihren künstlerisch-musikalischen Gehalt hörbar. Auch widersteht er der Versuchung, schon diese Werke mit einem Zuviel an „Heiligkeit“ aufzuladen. Bei Blomstedt klingen sie vorwärtsdrängend, energetisch. Wie intensiv sich Blomstedt den Ausdruckswelten allein in diesen zwei Werken widmet, mit welcher Konzentriertheit im Detail, mit welcher Spannungsgeladenheit und ja Power, das macht ihm derzeit kaum einer nach. Welche ungeheure Energie entfesselt Blomstedt etwa am Schluss der Zweiten Symphonie!

Blomstedt zeigt, dass Bruckners Musik von Beginn seines symphonischen Schaffens an von bezwingender musikalischen Größe beseelt war. Hier tönt kein Suchender, es ist alles da – Bruckner musste es scheinbar nur abrufen. Und es klingt absolut eigenständig, wie er komponiert, von Anfang an. Nichts klingt hier nach X oder Y – auch wenn der Einfluss Wagners selbstverständlich groß war. Aber der verehrte Meister wird nicht imitiert, es ist immer Bruckner, den wir hören. Seine Musiksprache ist singulär vom ersten Ton seiner ersten Symphonie an. Und wenn sie so innig und gleichzeitig so beweglich, so voller Energie und flexibel in Tempo- und Dynamik-Gestaltung gespielt wird wie hier vom phänomenalen Gewandhausorchester, dann ist man als Hörer einfach nur im Glück.

Energetisch vorwärtsdrängend klingt aber auch beispielsweise der Beginn der Vierten – auch hier gibt es Bruckner ohne Bräsigkeit. Dafür dominieren Klarheit und Stringenz.
Ab der Fünften freilich ändert sich der Geist der Werke, tritt das Spirituelle oder Meditative stärker in den Vordergrund – was nicht heißt, dass es keine kraftvollen Ausbrüche mehr gibt. Blomstedt zeichnet die langen Melodiebögen mit souveräner Ausdruckskraft nach. Konzentriertheit und Gelassenheit sind hier vorherrschend und punktgenaue Akzente und dynamische Abstufungen, die ein Höchstmaß an Spannungsgeladenheit erzeugen – immer mit dem sicheren Gespür für die Dramaturgie der Musik. So muss man Bruckner dirigieren – mit dem Blick für das Ganze und der Konzentration aufs Detail. Bei Längen von ca. 70 Minuten ist das für jeden Dirigenten eine Herausforderung und Herkulesarbeit. Wie Blomstedt das bewältigt ist faszinierend. Ein großartiges Tondokument eines großartigen Dirigenten.

Parallel zu CD-Box mit den Bruckner-Symphonien ist auch ein sehr sehenswerter Dokumentarfilm über Herbert Blomstedt auf DVD erschienen, der den Dirigenten zwischen dessen 90. und 95. Geburtstag bei seinen Auftritten und den Proben bei verschiedenen Orchestern zeigt. Zu den ausgewählten Orchestern und deren Musikern hat Blomstedt im Lauf seiner langen Dirigiertätigkeit enge und zum Teil freundschaftliche Beziehungen aufgebaut. Man spürt in diesem Film wie wichtig dieser Aspekt für Blomstedt ist, aber auch für das Gelingen herausragender musikalischer Leistungen. Ein wunderbares Porträt eines großen und dabei doch immer bescheiden gebliebenen Musikers.

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