Nixon in China sehenswert inszeniert in Dortmund

Eine Traumoper – ein Operntraum

„Nixon in China“ von John Adams brilliert in Dortmund

Von Bernd Feuchtner

(Dortmund, 18. März 2023) Ein halbes Jahrhundert ist es nun schon her, dass die Medien mit den Bildern vom Besuch Richard Nixons bei Mao Tse-tung gefüttert wurden. Zum ersten Mal besuchte ein amerikanischer Präsident das kommunistische China, mit dem es nicht zuletzt wegen des Vietnamkriegs verfeindet war. 1987, als die Oper „Nixon in China“ von John Adams in Houston Premiere hatte, waren diese Bilder noch präsent. Doch bereits damals spielten der Komponist, die Librettistin Alice Goodman und der Regisseur Peter Sellars mit dieser Erzählung und konstruierten in Wirklichkeit eine melancholisch-gebrochene Geschichte über diese Personen und ihre historischen Rollen.

Heute kann man das ikonische Medienereignis von damals nicht mehr voraussetzen. Und so erfand der Regisseur Martin G. Berger für Dortmund eine etwas andere Geschichte. Während des Vorspiels sehen wir ein amerikanisches Mädchen, das 1972 in seinem Zimmer die Nachrichten schaut, die der Opern-Nixon wenige Momente später als wichtigsten Anlass für seine Überraschungsreise besingt (Nachrichtensprecher im Video war der Regisseur selbst). Das Mädchen ist mit Puppenspiel beschäftigt, und so finden die Szenen des ersten Aktes im Kreis von Kasperlfiguren, beim amerikanischen Kindergeburtstag und bei einer Schülerparty statt – das perfekte Setting für die naiv-angeberischen Phrasen sowohl der Kommunisten wie der Amerikaner. Am Ende verengt die Bühne sich wieder auf das Mädchenzimmer, wo der jungen Frau mittels einer Küchenschürze rabiat die Stelle als Hausfrau zugewiesen wird.

Im ersten Akt, der hauptsächlich aus Äußerungen von Richard und Pat Nixon, Henry Kissinger, Außenminister Tschou En-lai und schließlich auch Mao besteht, kann man da in dem bunten Gewühle schon mal die Übersicht verlieren, zumal wenn die Glitzer-Amis und die unifomierten Kommunisten aneinandergeraten. Hier hört sich auch die Musik aus dem Graben etwas zu hart und wenig elegant an, und die – an sich sehr originelle und sehenswerte – Videoflut trägt das ihre zu einer Überwältigung des Zuschauers bei, wie Adams sie ja nun gerade nicht will. Doch nach der Pause im zweiten und dritten Akt ist alles anders und die Teile fügen sich zu einem sehr poetischen Ganzen, zu einem außergewöhnlich und vom (leider spärlichen) Publikum sehr gefeierten Abend.

„Für mich ist jeden Tag Weihnachten,“ schwärmt Pat Nixon, wenn sie an ihre armselige Herkunft denkt. Und so wird das Damen-Programm mit dem Besuch von Sehenswürdigkeiten, einer Kunsthandwerksfabrik und einer Muster-Farm von den Videos eines Konditor-Traums überwölbt. Vincent Stefans Kamera fährt in Großaufnahme durch rosa-cremefarbene Kuchenlandschaften und dreht die Bilder dann auch noch durchs Kaleidoskop. Diese grandiose Video-Show, die sehr genau mit dem spielt, was in der Oper passiert, wird ermöglicht durch das Bühnenbild von Sarah-Katharina Karl, das praktikabel wirkt, aber raffinierter und aufwändiger ist, als es aussieht, und das in einem zweistöckigen Bonsai einen echten Hingucker hat. Die Dortmunder Philharmoniker spielen nun unter Olivia Lee-Gundermann viel leichter und bunter, so dass die zweite Hälfte sich zu einem schwerelosen, fantastischen Theatertraum auswächst.

Die großartige Jemima Rose Dean tanzt das glückselige amerikanische Mädchen, das mehr und mehr zum Double von Pat Nixon wird. Wegen der Erkrankung von Irina Simmes bringt Sarah Tynman ihren leichten, frischen Sopran von der Seite ein, während auf der Bühne eine Assistentin Pat spielt. Das gleiche passiert mit Tschou En-lai, den Kyung Chun Kim mit ruhigem Bariton von der linken Seite einsingt. Der Mädchentraum geht zuende, als Soldatenstiefel die Kuchenwelt zertreten: Dick (Petr Sokolov) kommt aus dem Koreakrieg zurück. Und schon sind wir in dem kommunistischen Ballett vom Roten Frauenbataillon, das von Maos Ehefrau Tschiang Tsching angeführt wird. Morgan Moody spielt nun nicht nur Kissinger, sondern auch den ausbeuterischen Grundbesitzer, der die drei Sekretärinnen Maos auspeitscht, was Pat nachhaltig irritiert – da wird auch ihr eigener Missbrauch angedeutet. Sie muss Kissinger einen blasen, beißt aber zu und schließt sich den Revolutionärinnen an. Sooyoon Lee vom Dortmunder Opernstudio gibt die kleine Tyrannin Tschiang Tsching mit kühlem, klarem, höhensicherem Sopran und triumphiert in der A-B-A-Arie „I am the wife of Mao Tse-tung“. Mit deren konventioneller Form entlarvt Adams Tschiang Tschings Machtgeste, nicht anders als Tschaikowsky es mit dem Konservatismus Gremins getan hatte.

Der Dortmunder Opern- und Extrachor, brillant einstudiert von Fabio Mancini, spielt hier in pastellfarbenen Pierrot-Kostümen (Alexander Djurkov Hotter hält seine Kostüme wunderbar in der Welt US-amerikanischer Klischees). Die Dortmunder Oper hat wirklich keinen Aufwand gescheut, diesen Operntraum bzw. diese Traumoper wahr zu machen; auch das NRW-Juniorballett ist traumsicher mit im Spiel. Im dritten Akt kommt noch das Senior*innentanztheater dazu. Denn nun treten uralte historische Persönlichkeiten wie Che Guevara, Gaddafi, die Queen auf und Karl Marx kommt mit dem Papst am Arm herein. Tatsächlich stellt Tschou En- lai bei der Reflexion seines Tuns ja später die Frage: „Was sagst du dazu, Karl Marx?“

Pat und Dick, Tschiang Tsching und Mao, Tschou En-lai, sie alle sind nun alt und gebrechlich. Und wie das so ist im Altersheim der Geschichte, denn dort sind wir nun, verlieren sie sich in ihrer Vergangenheit, als sie noch jung und verliebt waren und noch keine historischen Abziehbilder. Alfred Kims Mao zeigt jetzt, wie er nicht nur schreien, sondern seinen kräftigen Tenor auch weich, flexibel und sinnlich einsetzen kann. In einer zauberhaft schwebenden Atmosphäre singen und tanzen („The Chairman Dances“) sie mit ihren Kollegen, bis sie schließlich von den Pflegern zu Tisch gebeten werden, wo sie dann einer nach dem anderen der Altersschwäche erliegen. Die amerikanische Frau aber lebt und übergibt ihre Erinnerungen an die nächste Generation.

Letzte Vorstellung am 29. März

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