Dudamel dirigiert Nixon in China an der Pariser Oper

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Politik als Show, die Welt als Bühne

Die Pariser Oper scheut keine Mühe für einen Opern Staatsbesuch: „Nixon in China“ von John Adams. Dudamel dirigiert, Thomas Hampson ist Nixon, Renée Fleming gibt die First Lady.

Von Roberto Becker

(Paris, 25. März 2023) „Nixon in China“ von John Adams hat gerade Konjunktur. Mit Neuproduktionen an gleich mehreren deutschen Bühnen (Dortmund, Koblenz) und jetzt auch an der Bastille-Oper in Paris. Dort war nicht nur der Komponist John Adams zur Premiere angereist. Auch sonst war die Neue Welt reichlich vertreten, denn die Argentinierin Valentina Carrasco inszenierte, und am Pult stand der ebenfalls aus Südamerika stammende Pariser Orchesterchef Gustavo Dudamel. Darüber hinaus sorgte die Pariser Oper für Starglanz auf dem Besetzungszettel, denn es waren Thomas Hampson und Renée Fleming, die das Präsidentenehepaar Richard und Pat Nixon verkörperten.

Kurz vor der Premiere in Paris war zwar gerade der geplante Staatsbesuch des britischen Königs abgesagt worden, doch trotz einer aktuell durchs Land rollenden Empörungswelle (wegen der Rentenreform) landete die Präsidentenmaschine auf der Bühne der Bastille Oper pünktlich. Zumindest der stilisierte, für die USA stehende Riesenvogel als ihr metaphorischer Platzhalter. Und ein in Maske und Habitus verblüffend stilechtes Präsidentenehepaar betrat chinesischen Boden. Mit Gespür für die lebendigen Erinnerungen, die es an diesen US-Präsidenten und seine spektakuläre Chinareise bei einem Teil des Publikums noch gibt, beginnt alles mit einer Reminiszenz an die sprichwörtlich gewordene Ping-Pong-Diplomatie, die dem Besuch Nixons den Weg bereitete. Blau gegen Rot – was in dem Falle aber nicht Demokraten gegen Republikaner wie in den USA, sondern (damalige) Supermacht gegen roten Aufsteiger bedeutete. Was dann im klaren, aufmarschszenentauglichen Bühnenbild von Carles Berga und Peter Van Presat als Massen-Tischtennisturnier vervielfältigt wird. Wenn dann sogar der große Vorsitzende zum Schläger greift und gegen Kissinger spielt, sind seine getreuen Sekretärinnen vor allem damit beschäftigt, ihn geschmeidig und das Ergebnis eindeutig zu halten. Eines der ästhetischsten Bilder des Abends sind die in ihrem Flug eingefrorenen, unzähligen Tischtennisbälle, die die Bühne füllen. Das gilt auch für die durcheinander gewirbelten Tischtennisplatten, die einen imaginären Raum für die persönlichen Erinnerungen des Ehepaares Mao und der Nixons bilden, zu denen beide Seite im Spiegel der Begegnung kommen. Das sind poetische Glanzlichter – der Star ist aber sicher der rote Riesendrachen mit dem Pat Nixon im grünen Prospektewald neckisch spielt. Es gibt also genug fürs Auge.
Entscheidender ist aber, was Carrasco zum Nachdenken bietet.

Was Adams auf Anregung von Regisseur Peter Sellars komponiert hat und was in dessen Regie 1987 das erste mal in Houston über die Bühne ging, hat sich im Laufe der Jahre wohl auch deshalb als ziemlich lebensfähig erwiesen, weil dem Plot – trotz oder vielleicht gerade wegen – der „Zeitenwenden“, die die Welt seit 1972 erlebt hat, auch etwas Prophetisches innewohnt. Die USA und China sind (in einem Fall noch, im anderen längst) die letztlich entscheidenden Hauptakteure einer strategisch orientieren Weltpolitik. Und auch, dass die beiden großen Nationen mit erheblichen eigenen zivilisatorischen Aussetzern konfrontiert sind und umgehen müssen, wird zu einer Herausforderung bzw. Steilvorlage jeder Inszenierung. Und hier lässt Carrasco an Deutlichkeit und auch an Ausgewogenheit nichts vermissen.

Es mag etwas plakativ erscheinen, wenn bei der Begegnung des sich selbst als Philosophen stilisierenden Mao und dem begnadeten Selbstdarsteller aus dem Weißen Haus in Maos imposanter Bibliothek die Bühne mit den Gesprächspartnern in den Sitzgarnituren nach oben fährt. Darunter kommt ein Gewölbe mit fensterlosen Käfigen für Bücher und Menschen zum Vorschein. Hier werden von emsigen Gardisten unentwegt Bücher verbrannt. Hier wird während des Gesprächs im Scheinwerferlicht der Geschichte im Dunkel der Keller exemplarisch ein Mensch erniedrigt, gefoltert und ermordet. Während der zentralen Szene in der Oper, bei der Maos Frau, Kissinger (als Ausbeuter versteht sich) mitspielen lässt, wird die Szene mit Bildern aus den Hochphasen der Kulturrevolution mit ihren widerlichen Erniedrigungsritualen eingespielt und ein Musikprofessor schildert in einem kurzen Dokumentarfilm, wie er in diesen finstersten Jahren der jüngeren chinesischen Geschichte gequält wurde. Was gerade durch sein Bemühen um einen nüchternen Bericht Eindruck macht. Die Regie erspart aber auch den Amerikanern den Blick in ihren Abgrund nicht. Bombenteppiche auf Indochina und die immer wieder ausbrechende Polizeigewalt gegen schwarze Amerikaner unterlaufen jeden Verdacht auf propagandistische Einseitigkeit.

Bei der Zeichnung der Figuren, kommt bei dem von John Matthew Myers eine Spur zu jugendlich und putzig gezeichneten Mao und dem imposanten Thomas Hampson als Nixon schon ein gewisser Weichzeichner der Milde zum Einsatz. Mit der First Lady hat es Adams besonders gut gemeint und Renée Fleming bietet ihr Charisma und ihre geradezu (manchmal auch schon zu) zart wirkende Stimme auf, um der liebenden Ehefrau mit dem guten Kern kein Haar zu krümmen. Mit der fanatischen Madame Mao, Chiang-Ch’ing, (Kathleen Kim) geht das nur schlecht. Dafür wirkt Xiaomeng Zhang als Maos Premier Zhou Enlai im Habitus wie der noch am ehesten zur Reflexion fähige Erwachsene bei diesen Sandkastenspielen „for Boys“ wie es einmal heisst.
Adams ist ein Meister der Prachtentfaltung der minimal music und Gustavo Dudamel ein idealer Anwalt, der den Strom der Musik vor jedem Anflug von Eintönigkeit bewahrt und jede dramatische Steigerung herausarbeitet. Dass er es dabei den Sängern nicht immer leicht macht, sich zu behaupten, ist der einzige kleine Wermuts Tropfen an diesem imposanten Operngipfeltreffen. Einhelliger Jubel in der vollbesetzten Bastille-Oper. Auch für den anwesenden Komponisten.

Opéra Bastille (P: 25. März 2023)
ML: Gustavo Dudamel, R: Valentina Carrasco, B: Carles Berga, Peter Van Praet,
K: Sylvia Aymonino, Choreinstudierung: Ching-Lien Wu
Mit: Thomas Hampson (Richard Nixon), Renée Fleming (Pat Nixon), John Matthew Myers (Mao Tse-tung), Kathleen Kim (Chiang Ch’ing, Madame Mao Tse-tung), Xiaomeng Zhang, (Chou En-lai), Joshua Bloom (Henry Kissinger) u.a.
Orchestre et Choeurs de l’Opéra de Paris

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