Kunst und Kultur in Bern – ein Reisebericht

Kunst und Kultur in Bern – sehenswerte Ausstellungen gibt es derzeit zur deutschen Dadaistin Hannah Höch, dem poetischen Schweizer Grafiker und Plastiker Markus Raetz und über das Nichts…

(Bern im Januar 2024) Bern ist die wohl entspannteste Hauptstadt Europas. Ein paar Meter vom Bahnhof entfernt taucht man ein in eine andere Zeit. Die Altstadt sieht so einheitlich alt aus, dass man sich tatsächlich vorkommt wie in einem anderen Jahrhundert. Schon die Zugfahrt nach Bern ist entspannt, wie immer wenn man in der Schweiz mit dem Zug unterwegs ist. Kurz vor der Ankunft geht es dann über eine schwindelerregend hohe Brücke über die türkis schimmernde Aare quasi auf eine Insel. Ja, Bern ist – wenn man es pathetisch formulieren will – eine Insel im Meer der Zeit. Ist es ein Zufall, dass Albert Einstein hier seine Relativitätstheorie entwickelt hat?

Auch wenn Bern das politische Zentrum der Schweiz ist, geht es in der Stadt ruhig zu. Man schlendert, man geht nicht. Und noch weniger eilt man. Bern ist eine entschleunigte Stadt. Gleich nach der Ankunft drosselt selbst der Fremde unwillkürlich sein Tempo.

Die Bernerinnen und Berner halten sich gerne in Cafés und Lokalen auf.
Es gibt ungewöhnlich viele Bars und Restaurants auf vergleichsweise kleinem Raum, viele davon mit schönem historischen Ambiente und hochwertigem Angebot. Und alle sind gut besucht. Auch Politiker und deren Entourage gehen natürlich gerne essen. Dennoch beherrschen Politiker und Beamte nicht das Bild. Im Gegenteil, die Stadt wirkt jung und lebendig, vor allem, wenn man durch die seitlichen Gässchen der Altstadt streift.

Außer diesen Vorzügen ist die Weltkulturerbe-Stadt aber auch eine bedeutende Kunststadt. Ferdinand Hodler und Paul Klee wurden hier geboren. Das von Renzo Piano 2005 spektakulär erbaute Zentrum Paul Klee vor den Toren der Stadt beherbergt um die 4000 Werke des Malers sowie dessen gesamten Nachlass mit Briefen, Dokumenten, Fotografien usw. In thematischen Einzelausstellungen widmet man sich hier dem Schaffen Klees unter verschiedenen Blickwinkeln. Daneben gibt auch Ausstellungen, die ohne direkten Bezug zu Klee auskommen, wie aktuell die Schau „Montierte Welten“ über die deutsche Dadaistin Hannah Höch.

Seit ein paar Monaten kann man sich zudem in einer kleinen, aber feinen biografischen Dauerausstellung mit dem Titel „Kosmos Klee“, einen kurzen, aber sehr guten Überblick über Leben und Schaffen Paul Klees verschaffen.

Hannah Höch (1889-1978) war eine der ersten Künstlerinnen, die sich zu Beginn der 20er Jahre mit Fotomontage und Collagen beschäftigte, inspiriert von dem mit ihr befreundeten Raoul Hausmann und dem Politkünstler John Heartfield. Im Berlin der 20er Jahre trafen sie alle aufeinander und beeinflussten sich gegenseitig. Auch von Höch gibt es einige politische Arbeiten.

Höch, die im Brotberuf als Grafikerin im Ullstein Verlag für Illustrierte Zeitschriften arbeitete, war dadurch an der Quelle vielfältigen Bildmaterials, das sie mit leiser Ironie zu hintersinnigen Bildkompositionen montierte. Nicht ganz so politisch wie Heartfield, aber durchaus auch mit gesellschaftskritischem Impetus.

Hannah Höch: Hochfinanz, 1923 Foto: Zentrum Paul Klee

Die Technikbegeisterung eines Moholny-Nagy oder El Lissitzky faszinierte sie, für sie selbst aber waren Technik und Maschinen weniger bedeutend…Die umfangreiche Retrospektive stellt ihre Werke in Beziehung zu Werken ihrer Freunde und Kollegen. Dadurch bekommt der Besucher auch einen Überblick über verschiedene künstlerische Handschriften auf dem Gebiet der Montage in den 20er und frühen 30er Jahren bis hin zu selten zu sehenden filmischen Kunstwerken.

Dabei hat man nicht den Eindruck, dass Höchs Werke hinter denen ihrer berühmten Kollegen zurückstehen. Höch war die einzige bildnerische Dadaistin zu der Zeit und sie ist es Wert als solche rezipiert und gewürdigt zu werden. Die hervorragend kuratierte und kommentierte Berner Ausstellung leistet dafür beste Voraussetzungen – unbedingt sehenswert! (bis 25.2.)

 

Ebenfalls bis Ende Februar (25.2.) ist im Kunstmuseum Bern eine große Retrospektive des Berner Künstlers Markus Raetz zu sehen. Raetz, Jahrgang 1947 und 2020 gestorben, war einer der wichtigsten Künstler der Schweiz. Mit Ausstellungen bei der Biennale von Venedig oder bei der documenta ist er auch international bekannt geworden. Ein bisschen erinnern seine feinen, poetischen Arbeiten auch an den spielerisch-versonnenen Geist Paul Klees. Auch die Bedeutung des grafischen Elements verbindet beide Künstler. Dabei hat Raetz sich von der Grafik zur Objektkunst entwickelt, hat seine Zeichnungen „in einem natürlichen Prozess dem Untergrund enthoben“.

Markus Raetz: Hasenspiegel, 1988 Foto: Kunstmuseum Bern

Aus hölzernen Fundstücken schuf Raetz hintersinnige Mobiles, die die Wahrnehmungsfähigkeit des Betrachters herausfordern und zum Sinnieren über unsere Wahrnehmung einladen. Wie kann es sein, dass eine Flasche aus Draht auf einem Teller plötzlich auf dem Kopf steht oder ein Gesicht aus kleinen Ästchen mal geschlossene, mal geöffnete Augen hat. Drahtskulpturen hat Raetz noch mehr zu polysemantischen Suchbildern gestaltet. Ein Kopf mit Hut, der sehr stark an Joseph Beuys erinnert, wandelt sich im Vorübergehen hintersinnig beuysisch zu einem Hasen. Das Wort Non wird zu Oui. Dem ganz eigenen Zauber dieser ausgeklügelten und dabei so zerbrechlich wirkenden Konstruktionen kann man sich nicht entziehen.

Auch ein Kommunikationsmuseum gibt es in Bern, das sich sehr ambitioniert gibt, und zur Zeit eine Ausstellung über das „Nichts“ bietet. Das Nichts in all seinen Spielarten. Wer hätte gedacht, dass man mit dem Nichts so viele Räume füllen kann. Doch das Nichts ist nicht nichts, es umgibt uns in verschiedenen Manifestationen immer und überall. Auf Schritt und Tritt sind wir mit ihm konfrontiert, von ihm umgeben. Spielerisch ist der Beginn. Ein Raum mit nichtigen Fundstücken:
eine alte Aktie der schweizerischen Bank UBS, die nichts mehr wert ist, eine Landkarte, die den Ort Nothing zeigt, Schund aus einem Ein-Euro-Laden, der nichts wert ist usw. usf.

Psychologisch, persönlich wird es im nächsten Raum. Hier erfährt man aus Interviews mit (anonymen) Betroffenen wie es sich anfühlt, als Flüchtling vor dem Nichts zu stehen oder als jemand mit einer Depression sich wie nichts zu fühlen. Die Kuratoren reflektieren den Begriff auf vielfältige Weise ebenso spielerisch wie hintersinnig bishin zu langen weißen Totenhemden, die das Nichts nach dem Tod symbolisieren – oder ist es doch kein Nichts, das uns erwartet? Ist das Nichts überhaupt existent? Man zweifelt sehr daran, wenn man die Ausstellung verlässt (bis zum 21. Juli 2024 im Museum für Kommunikation).

Robert Jungwirth

Empfehlungen:

Übernachten kann man sehr stylish, aber trotzdem gemütlich im zentral in der Altstadt gelegenen Bristol. Außen mit schöner Jahrhundertwende-Fassade, innen ist alles neu ohne übertrieben zu wirken.

Restaurant-Empfehlungen sind das Casino im gleichnamigen Jahrhundertwende-Prachtbau mit tollem Ausblick und verschiedenen, optisch aufwendig gestalteten Räumen und extra Bars. Das Restaurant bietet Mittagsmenüs und Abendmenüs in herausragender Qualität mit feinem Geschmack und Kreativität. Eine unbedingte Empfehlung zumal das Preis-Leistungs-Verhältnis sehr gut ist, was in der Schweiz leider oft immer der Fall ist.

Sehr empfehlen können wir auch das kleine Restaurant Zum Falken ebenfalls mit Mittags- und Abendmenüs: hohe Qualität zu fairen Preisen in familiärer, sehr gemütlicher Atmosphäre. Oder das italienische Restaurant Verdi im historischen Ambiente mit stilvollem Interieur und hochwertiger Küche.

Mit spektakulärer Kulisse beeindruckt der historische Kornhauskeller im Zentrum der Altstadt, ein weitläufiges, über zwei Etagen sich erstreckendes, reich mit Fresken verziertes Kellergewölbe, in dem man solide Berner Traditionsgerichte, aber auch italienische Klassiker serviert. Dazu gibt es eine große Vinothek und eine sehr atmosphärische Bar.

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