Interview mit dem Intendanten der Symphoniker Hamburg Daniel Kühnel

Auf die Musik aufpassen

Die Symphoniker Hamburg sind das Hausorchester der Hamburger Laeiszhalle, die zu den schönsten und traditionsreichsten Konzertsälen in Deutschland gehört. Chefdirigent ist Sylvain Cambreling, Intendant Daniel Kühnel. Am 17. September eröffnete das Orchester die neue Saison mit Schumanns Oratorium »Das Paradies und die Peri«. Im Gespräch mit KlassikInfo erzählt Kühnel von seinen Plänen mit dem Orchester und der Laeiszhalle.

KlassikInfo: Vor dem Saisonstart der Symphoniker Hamburg gab es in der Laeiszhalle eine weitere Ausgabe des Martha Argerich Festivals. Das Festival wurde von Ihnen 2018 initiiert. Wie kam es eigentlich dazu, dass es ein Argerich Festival in Hamburg gibt?

Kühnel: Martha Argerich hatte ein Festival in Lugano, das nach vielen Jahren eingestellt wurde. Auf Initiative unseres in Lugano lebenden 1. Gastdirigenten Ion Marin fragten wir Martha Argerich – nachdem sie bereits zwei Mal mit uns in der Laeiszhalle musiziert hatte – ob sie sich vorstellen könnte, ein anderes Festival-Format in Hamburg zu verwirklichen. Wir waren sehr gespannt und sehr aufgeregt – und überglücklich, als sie zustimmte. Ab da begann eine faszinierende und lehrreiche Suche nach den richtigen Inhalten und den richtigen Formaten für Martha Argerich in Hamburg. Es ist inzwischen ein anderes Festival, als es in Lugano war – eins ist aber geblieben. Ausnahmslos alle Künstler, die kommen, spielen für die gleiche Flat Fee aus Freude aneinander und an der Möglichkeit, alles, was ihnen in den Sinn kommt, hier ausprobieren zu können. Daraus ergibt sich ein qualifizierter Workshopcharakter, der in dieser Konstellation einzigartig ist, nötig ist und gut tut.

Seit 2018 ist Sylvain Cambreling Chefdirigent der Symphoniker Hamburg, ein überaus vielseitiger Dirigent ohne Berührungsängste, mit vielen Ideen auch für Ungewöhnliches. Wie würden Sie das Profil des Orchesters unter seiner Leitung, aber auch natürlich unter Ihrer Leitung als Intendant beschreiben?

Wichtig ist uns beiden, dass das Orchester, das Publikum und die Stadtgesellschaft, die uns umgibt und von der wir ein Teil sind, immer neue Freude daran findet, die Symphoniker Hamburg – Laeiszhalle Orchester als eine echte Kulturinstitution zu erleben. Wir spielen Musik nicht nur deshalb, weil es schön ist, sondern weil wir dadurch die Aufgabe wahrnehmen, das, was durch Musik über die Welt und über die Zeit, in der wir leben, besser gesagt werden kann als mit anderen Ausdrucksmitteln, zu sagen. Das klingt, je nachdem, wie man darauf blickt, im ersten Augenblick hohl oder hochtrabend, aber es ist eine einfache und leider zu oft unverstandene Wahrheit: ein subventioniertes Kulturorchester hat Aufgaben. Die erste Aufgabe ist, auf die Musik, vor allem auf die symphonische, auf jede erdenkliche Weise gleichsam aufzupassen. Der Grund dafür ist aber, dass durch Musik etwas artikuliert wird, das anders nicht artikuliert werden kann und das deshalb ungesagt und ungehört bleibt, wenn wir (und andere) nicht spielten. Und deshalb wäre nicht spielen nicht einfach nur “schade, aber nicht so schlimm”. Klingt Musik nicht, erfahren wir weniger, als wir erfahren können, bleiben wir unwissender als nötig. Es entgeht uns eine der möglichen Verbindungen zu unserem Sein in der Welt. Auch wenn er anders darüber spricht als ich, treffen uns Sylvain Cambreling und ich darin, zu glauben, dass ein Orchester, das diese Dimension seines Tuns und die damit verbundene Verantwortung versteht und freudig wahrnimmt, anders spielt als ein Orchester, dessen Trachten mit der (sehr wichtigen und absolut notwendigen) Besorgnis um Intonation, Balance, Agogik und Klang endet. Es ist nicht anders als bei den Museen: die Qualität eines Museums bestimmt sich auch dadurch, dass die Exponate gut präsentiert sind, die Bilder also gerade hängen, das Licht nicht blendet etc. Aber es geht doch immer auch darum, ob die Ausstellung treffend kuratiert ist – mit anderen Worten, etwas Relevantes zum Ausdruck bringt.

Welche Besonderheiten, welche Highlights bietet die nun startende Saison der Symphoniker aus Ihrer Sicht?

Schon der Beginn mit dem heute selten gespielten aber berückend schönen Oratorium von Schumann „Das Paradies und die Peri“ in einer Besetzung, die nicht besser sein könnte, ist toll. Martha Argerich wird später in der Saison dabei sein, außer ihr zum Beispiel auch Mischa Maisky, Gil Shaham und Pierre-Laurent Aimard, wir haben einen wunderbaren Jeffrey-Tate Preisträger, den Akkordeonisten João Barradas, eine Sonntag-Vormittag-Reihe, die Johann Strauß in die Wiener Musikgeschichte einbettet, die Weiterführung der Zusammenarbeit mit unserer 1. Gastdirigentin Han-Na Chang und sehr viele, sehr sorgsam und fein erdachte Programme, die Freude und Sinn in der Laeiszhalle bedeuten. Mit der Turangalila-Symphonie endet die symphonische Saison und dann hoffen wir, wieder ein Martha Argerich Festival der Sonderklasse komponieren zu können.

Die Hamburger Laeiszhalle gehört zu den schönsten und traditionsreichsten Konzertsälen in Deutschland mit einer hervorragenden Akustik – dennoch muss sie sich natürlich gegen die große Konkurrenz der Elbphilharmonie behaupten. Wie gelingt das?

Hervorragend! Der Publikumszuspruch wird immer größer. Man lernte in Hamburg erst im Vergleich mit der Elbphilharmonie die enorme Schönheit der Laeiszhalle zu schätzen. Dass es in dieser Stadt nun zwei Konzertsäle von Weltformat gibt, ist natürlich sehr besonders.

Ist dieser Konzertraum für Sie auch eine Verpflichtung, Inspiration bei der Programmgestaltung?

Ja, unbedingt. Die Laeiszhalle gibt mit vor, wie wir an die Planung herangehen. Das hat nichts mit klein oder groß besetzt zu tun, sondern mit der Freude daran, alles Singende hier besonders genießen zu können. Moderne Säle habe andere Vorzüge – auch andere Nachteile –, aber das warm Singende ist eine Qualität, die uns leitet und die übrigens auch den Klang des Orchesters prägt.

Ist das Interesse an klassischer Musik in Hamburg durch die Elbphilharmonie gewachsen? Der erste Hype ist ja nun doch verflogen und der Alltag eingekehrt…ist Hamburg noch mehr zu einer Musikstadt geworden?

Ich würde das so sehen, ja. Ich weiß nicht, ob schon klar genug ist, wie wichtig und bedeutend Musik uns sein muss, aber die Bereitschaft, Konzert zu versuchen, sich darauf einzulassen, ist definitiv erheblich größer geworden und das ist der unerlässliche erste Schritt zu allem.

Welche Rolle spielen die Symphoniker Hamburg im kulturellen Selbstverständnis der Stadt?

Zunächst: eine wachsende. Und dann ist es erfreulich und beglückend zu erleben, dass die Symphoniker so etwas wie eine Führungsrolle dahingehend übernommen haben, die politische Bedeutung eines aktiven und tätigen Konzertlebens – wie oben beschrieben – in der Laeiszhalle herauszustellen. Das ist für die Konstitution der Musikstadt ein sehr wichtiger Aspekt, ohne den das Tableau und damit letztlich auch der Sinn des Baus der Elbphilharmonie zerrissen-unvollständig wirken müsste. Die Symphoniker machen auch viel Basisarbeit und unsere Education-Abteilung ist die aktivste und vielleicht mutigste. Die Symphoniker Hamburg sind in diesem Sinne ein stabilisierender Faktor, die Basis und vielen eine Heimat.

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