Igor Levit kuratiert eigenes Klavier-Festival beim Lucerne Festival

Luft nach oben

Igor Levit kuratiert das neue Klavier Fest beim Lucerne Festival – in der ersten Ausgabe ging es auch ums Improvisieren

Von Robert Jungwirth

(Luzern, 18. – 21. Mai 2023) Beim Lucerne Festival, einem der renommiertesten Klassik-Festivals, gab es viele Jahre neben dem Hauptfestival im Sommer im November zusätzlich ein kleines Klavierfestival. Was Rang und Namen hatte, gab sich dabei für ein paar Tage die Klinke in die Hand. Doch irgendwie gefiel dem Intendanten Michael Haefliger die Ausrichtung dieses Festivals nicht mehr und so überlegte er, wie er es anders gestalten könnte. Als Igor Levit in Luzern einen Beethoven-Zyklus spielte, fragte ihn Haefliger, ob er sich vorstellen könnte, das Klavierfestival zu kuratieren. Levit sagte zu und so gab es jetzt erstmals eine Ausgabe des Klavierfests von und mit Igor Levit – mit einem Brückenschlag zwischen Klassik und improvisierter Musik, so die Programmidee von Levit.

Grundsätzlich ist es sicher keine schlechte Idee, einem renommierten Musiker, das Programm für ein Festival zu übertragen. Das ist auch keine Novität in Luzern, das gab es schon mehrfach an anderen Orten und Festivals – man denke nur an Gidon Kremers Lockenhaus-Festival oder das Festival, das Lars Vogt kuratierte mit dem Titel „Spannungen“. Das ist eigentlich immer spannend und interessant – jedenfalls spannender als wenn einfach nur angesagte Stars das spielen, was sie eben gerade im Angebot haben. Für Levit war es auch wichtig, wie er sagte und auch in den Flyern, die überall in Luzern auslagen schrieb, dass er ein Miteinander der Musiker kreieren wollte, einen Austausch, eine Begegnung, eine wechselseitige Anregung und Befruchtung – im besten Fall. Und dazu eignete sich die Idee mit dem Brückenschlag zur improvisierten Musik durchaus sehr gut.

Levit hat neben den beiden klassischen Pianist*innen Anna Vinnitskaya und Alexei Volodin zwei improvisierende Musiker*innen eingeladen, einmal den amerikanischen Jazz-Pianisten Fred Hersch, Jahrgang 1955, der u.a. mit Jazz-Legende Stan Getz gespielt hat, und die erst 27-jährige deutsche Pianistin Johanna Summer. Beide traten sowohl solistisch auf mit Improvisationen, aber auch im Verein mit klassischen Pianisten, um über das zu improvisieren, was die Klassiker spielten. Das waren zum Beispiel Schumann-Miniaturen aus den „Waldszenen“ von Igor Levit gespielt – und im steten Wechsel improvisierte Johanna Summer darüber. Eine schöne Idee, die aber in der Ausführung nicht ganz so überzeugend geriet, weil Johanna Summer zwar enorm begabt und stilistisch sehr versiert ist in den verschiedenen Stilen der klassischen Musik, in ihren kurzen Improvisationen aber doch sehr nah am klassischen Idiom blieb. Ihre Paraphrasen klangen unstrukturiert, plätscherten mehr vor sich hin als dass sie Kontur und Eigenständigkeit entwickelt hätten – geschweige denn waren sie eine Übersetzung der Vorlagen in eine zeitgenössische Jazz-Sprache.

Das war bei Fred Herschs Soloauftritt mit Improvisationen über Jazz-Standards und Songs aus der Popmusik sehr viel überzeugender, weil Hersch ein mit allen Wassern gewaschener Jazzer ist und dazu noch ein ungemein poetischer und zu polyphonem Spiel befähigter, der zwischen Jazz und Klassik geschickt hin und herpendelt. Das zeigte sich auch in seinen für das Lucerne Festival entstandenen Songs without Words, die Igor Levit in etwas abenteuerlicher Kombination zwischen den Vier ernsten Gesängen von Brahms (Klavierfassung von Reger) und dem Adagio aus Mahlers Zehnter (Klavierfassung von Ronald Stevenson) uraufführte.

Im Zusammenwirken mit dem jungen Levit-Schüler Mert Yalniz, der Beethovens Appassionata stürmerisch-drängerisch in Häppchen darbot, worüber Hersch dann ebenfalls improvisieren sollte, war der musikalisch-künstlerische Ertrag deutlich geringer, weil Hersch, es nicht wirklich wagte, sich von Beethoven frei zu machen und zu sehr an der Vorlage hängen blieb – das ist zwar sympathisch, weil es aus Respekt geschah, aber musikalisch war es eher belanglos.

Den Auftakt beim Festival hatten Levit und Alexei Volodin gemacht, die in Debussys En blanc et noir und Rachmaninows Suite Nr. 1 G-Dur an zwei Klavieren sich nuanciert die musikalischen Bälle zuspielten. Auch Levits Soloabend mit Mahler und Brahms und der abgründig auf den Zweiten Weltkrieg reagierenden 7. Sonate von Prokofjew beeindruckte indem er tieflotende Ausdruckskraft demonstrierte.
Daran mangelte es Anna Vinnitskaya in ihrem Soloauftritt mit Werken von Skrjabin, Chopin und Ravel leider. Das war alles sehr routiniert und ohne Fehl und Tadel, aber eben auch nicht mehr. Schade und man fragt sich, warum Levit ausgerechnet diese Pianistin zu seinem Festival eingeladen hat – die sich ja auch nicht wirklich in das Thema einfügte…

So war diese erste Ausgabe von Levits Klavierfestival in Luzern ein interessanter Auftakt mit guten Ideen, aber auch mit Luft nach oben. Gerade was die improvisierende Zunft angeht. Wehmütig denkt man zum Beispiel an Namen wie Keith Jarrett, der ja nun leider nicht mehr spielt, oder Herbie Hancock, der noch spielt. Also Großmeister der Improvisation, die dem Niveau des Lucerne Festivals eher entsprochen hätten. Das, was Levit anbot, wurde zwar vom Publikum bereitwillig und interessiert angenommen, blieb aber insgesamt doch etwas unter der Messlatte, die man hier gewohnt ist.

Noch zwei weitere Klavier-Festivals kann Igor Levit beim Lucerne Festival gestalten, das ist vorgesehen, dann wechselt der Intendant. Michael Haefliger hört nach mehr als 20 Jahren in Luzern auf. Wer dann kommt, ist noch offen und auch, ob Levit sein Festival dann weitermachen wird.

Die Musikstadt Luzern

Immer mehr entwickelt sich Luzern zu dem, was es für Kenner schon lange ist: eine Musikstadt. Ein wenig ähnelt sie darin Salzburg – mit dem Unterschied, dass es in Luzern bei den stattfindenden Musikfestivals keine Opern-Aufführungen gibt. Und dass es in Luzern keine Mozart-Häuser gibt. Dafür gibt es mit dem Wagner-Wohnhaus in Tribschen, 15 Minuten zu Fuß vom KKL (Kulturzentrum) entfernt, und der vor Kurzem der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Villa Senar, die sich Sergej Rachmaninow hatte bauen lassen und in der er von bis zu seiner Übersiedlung in die USA gelebt und gearbeitet hat, zwei überaus bedeutende und zu besichtigende Komponisten-Wohnhäuser, in denen Musikgeschichte geschrieben wurde.

Wagner-Museum in Tribschen Foto: Museum/Stadt Luzern

Musikfans, die Luzern kennen, werden das Wagner-Haus in Tribschen am Ufer des Vierwaldstättersees wahrscheinlich schon einmal besichtigt haben. Doch ein neuerlicher Besuch lohnt sich, denn das Haus wurde in den vergangenen Monaten neu gestaltet. Dabei legte man originale Wandbemalungen und Ornamente aus Wagners Zeit frei und stattete die Räume mit exquisiten Stofftapeten und Möbeln aus der Wagner-Zeit aus – neben den erhaltenen Original-Objekten aus Wagners Besitz. Vor allem Wagners Erard-Flügel wäre hier zu nennen, dessen feinen Klang der Meister besonders schätzte. In diesem Haus hat Wagner die „Meisteringer“ und den „Siegfried“ vollendet und an der „Götterdämmerung“ gearbeitet.

Von 1866 bis 1872 hat Wagner in dem einmalig gelegenen mehrgeschossigen Haus gelebt, nachdem er aus München vertrieben worden war, weil Politiker um König Ludwig II. Stimmung gegen ihn gemacht hatten. Vermutlich hat Wagner in Tribschen die glücklichste Zeit seines Lebens verbracht. Denn auch wenn es ihm nach seinem Umzug nach Bayreuth ebenfalls an nichts gemangelt hat – so waren die mit dem Theaterbau und der Organisation der Festspiele verbundenen Strapazen in Bayreuth doch ungleich anstrengender als das beschauliche Leben am Vierwaldstättersees – das ihm sein Gönner Ludwig II. finanziert hat.

Die Räume wurden jetzt also neu gestaltet, wobei man noch mehr als zuvor versucht hat, den Charakter und den Stil zu treffen, den Wagner hier gepflegt hat. Und es gibt einen sensationell guten neuen Audio-Guide, der die Besucher eintauchen lässt in die Lebenswelt Wagners in dieser Zeit.

Rachmaninows Villa Senar Foto: Kanton Luzern | Priska Ketterer

Auf der gegenüberliegenden Seeseite – etwas weiter von Luzern entfernt – liegt Rachmaninows Bauhaus-Villa, ebenfalls frisch renoviert und mit Möbeln aus dem Besitz des Komponisten. Ein Museum wie das Wagner-Haus ist Rachmaninows Villa nicht, denn man kann sie nur zu bestimmten Anlässen oder nach Voranmeldung besichtigen. Auch hier steht ein originaler Flügel aus dem Besitz des Komponisten – ein Geschenk von Steinway. Die Rachmaninow-Foundation und der Kanton Luzern, der die Villa von den Erben gekauft hat, möchten das Gebäude aber ebenfalls mit Leben erfüllen und veranstalten Konzerte, Meisterkurse und anderes im Zusammenhang mit Rachmaninow. An Wochenenden kann man zudem den Park besichtigen.

Das KKL, das Kunst- und Kulturzentrum Luzern, feiert in diesem Jahr übrigens seinen 25. Geburtstag. Gebaut wurde es von dem französischen Stararchitekten Jean Nouvel, der mit spektakulären Analogien zum See, den Schiffen und Stegen am Ufer des Vierwaldstättersees gearbeitet hat und hier einen der schönsten und akustisch besten Konzertsäle der Welt gebaut – der wie ein hölzernes Schiff in das Gebäude eingelassen ist. Alles unter einem 20.000 qm großen Flachdach, das weit über das Gebäude Richtung See hinausragt – wie ein riesiger Schiffsbug. Jährliche Kosten von rund einer Million Euro für die Wartung und Pflege des gesamten Gebäudes lassen den Komplex auch nach einem Vierteljahrhundert geradezu wie neu aussehen.

KKL Luzern Foto: André Meier | Schweiz Tourismus

Noch eine Parallele zu Salzburg hat Luzern übrigens zu bieten – die Berge. Wer mal schnell auf einen 2000er möchte, kann das auch in Luzern ohne große Schwierigkeiten tun. Mit dem Bus ist man nach kurzer Fahrt an der Bergbahn, die zum 2100 Meter hohen Pilatus hinaufführt. Oder man wandert ohne fremde Hilfe zu Fuß auf den Gipfel…Auch Wagner ist gerne durch die Schweizer Berge gewandert. Vielleicht hat er dabei auch jenen Waldvogel gehört, den er im „Siegfried“ so prominent verewigt hat…

Und hier noch ein paar Tipps zum Essengehen in Luzern:

Essengehen ist in der Schweiz bekanntlich sehr teuer. Im Restaurant des Hotels Des Balances und im Restaurant Zum Wilden Mann bekommt man aber für sein Geld hervorragende und hochwertige Gerichte.

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