Donna Leon: Wie die Saat, so die Ernte

,

We are family

Donna Leon: Wie die Saat, so die Ernte

Von Robert Jungwirth

(Juni 2023) Donna Leon lesen ist immer ein wenig wie ein Besuch bei Freunden. Zu unserer italienischen Gastfamilie, die nach 32 Büchern ein bisschen zu unserer eigenen geworden ist (auch wenn man nicht alle Bände gelesen hat). Mit dem smarten Guido Brunetti, seiner blitzgescheiten, aber auch lebensklugen Frau Paola und ihren sympathisch-eigenwilligen Kindern Chiara und Raffi. Der Leser nimmt nicht nur Teil an den Fällen, die der Commissario bearbeitet, sondern fast noch mehr an den Diskussionen in der Familie über diese unsere Welt mit all ihren Gaunern und Gaunereien. Die Ideen dazu scheinen der bald 80-jährigen Autorin nicht auszugehen.

Zu unseren Lieblingen gehört natürlich auch der knuffige Ispettore Vianello, Brunettis engster Mitarbeiter und die Hackerin Signorina Elettra, der kein Computer eines Delinquenten verschlossen bleibt. Und wir amüsieren uns auch immer wieder gerne über Vice Questore Pattas grundlose Eitelkeiten. Wie schön, dass alle immer noch am Werke sind…

Unsympathisch dagegen war uns immer Tenente Alvise mit seiner undurchschaubaren, ein wenig schmierigen Beflissenheit. Da überrascht es, dass ein guter Teil des neuen Buchs von Donna Leon genau um diesen Alvise geht. Alvise wurde verhaftet, weil er bei einem Handgemenge während einer Gay-Demo in Mestre beteiligt war. Alvise auf einer Gay-Demo! Das ist dann doch eine Neuigkeit für Brunetti, Vianello und uns. Die späte und eher unfreiwillige Offenbarung seiner Homosexualität an seinem Arbeitsplatz jedenfalls verschafft ihm Sympathiepunkte bei Brunetti und Vianello. Offenbar hatte Donna Leon etwas gutzumachen an dem armen Alvise. In dem Band wird er rehabilitiert – bis auf weiteres.

Aber um Alvises Schwulsein geht es im 32. Fall von Brunetti eigentlich nur am Rande. Aufzuklären ist der scheinbar unmotivierte Mord an einem Einwanderer aus Sri Lanka, der ein ruhiger und sanfter Buddhist gewesen war. Kein Motiv nirgends…Und dann gibt es noch eine Handlungsstrang, der in die linksradikale Szene der 70er und 80er Jahre in Italien führt, bei der es auch etliche Todesopfer zu beklagen gab. Die Gesellschaft verbessern wollen und dabei auch vor Mord nicht zurückschrecken. Zur Zeit des Links-Terrors war das eine Doktrin, der einige anhingen. Doch was hat das mit unserer Gegenwart heute zu tun und mit dem Mord an dem Singhalesen? Donna Leon hält die Spannung wie immer aufrecht bis zum Schluss. Sie ist eine Meisterin darin, weitreichende Zusammenhänge in Staat und Gesellschaft zu problematisieren. Das macht ihre Bücher so interessant über Mord und Totschlag hinaus. Und natürlich die Gespräche in unserer Gastfamilie…

Werbung

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert