Darf man in der Münchner Musikhochschule keinen Wagner mehr spielen?

Canceln oder nicht-canceln?

Die Präsidentin der Münchner Musikhochschule Lydia Grün sagt ein Konzert mit Werken Richard Wagners ab – aus haus-politischen Gründen

Kommentar von Robert Jungwirth

(München, 19. Februar 2024) Darf man im ehemaligen „Führerbau“ der NSDAP in München Musik des Lieblingskomponisten Adolf Hitlers und erklärten Antisemiten Richard Wagner spielen? Die Frage lässt sich nicht einfach mit ja oder nein beantworten. Unglückseligerweise beherbergt dieser historisch belastete Ort seit Jahrzehnten die Münchner Musikhochschule, und es wäre natürlich vollkommen aberwitzig, wenn Musikstudentinnen und Studenten keinen Wagner mehr hier spielen oder singen dürften. Dann müsste man Wagner auch im Bayreuther Festspielhaus verbieten, denn dort ist Hitler bekanntlich ebenfalls ein und ausgegangen. Das wäre tatsächlich eine cancel-Unkultur.

Wie immer tut Differenzierung Not und eine bewusste Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Genau die hat auch die Präsidentin der Münchner Musikhochschule Lydia Grün von den Veranstaltern des Wagner-Festkonzerts zur Feier der neuen Gesamtausgabe auch gefordert als Voraussetzung für die Durchführung des Konzerts. Warum kann der Schott-Verlag eigentlich das Erscheinen seiner neuen Wagner-Gesamtausgabe nicht an einem unbelasteten Ort in irgendeinem Münchner Konzertsaal feiern? Weil die Musikhochschule im Zweifel kostengünstiger zu haben ist?

Beim renommierten Schott-Verlag hatte offenbar niemand über solche Dinge nachgedacht und auch nicht Dieter Borchmeyer, Germanist und Wagner-Kenner, der als Mitveranstalter fungiert. Borchmeyer hat früher schon gerne über die problematischen Aspekte von Wagner hinweggesehen. Deshalb kann man als Hausherrin der Musikhochschule schon zu dem Entschluss kommen, die Feierstunde in dieser Form hier nicht abzuhalten.

Lydia Grün war als Nachnachfolgerin des verurteilten Sexualstraftäters Siegfried Mauser und nach anderen unschönen Skandalen an der Hochschule gerade mit dem Auftrag in das Amt bestellt worden, eine neue Kultur der Offenheit und des Respekts zu etablieren. Das verpflichtet sie auch zu einer Sensibilität für die Historizität des Gebäudes. Und die Sensibilität bezieht sich auf Dieter Borchmeyer auch noch in einem anderen Aspekt, weil der im Zusammenhang mit Siegfried Mauser in einer Geburtstagsschrift von „weltumarmendem Eros“ gesprochen hat – im Kontext von Mausers Straftaten geschmacklos. Man kann Lydia Grün wirklich nicht verdenken, hier die Reißleine gezogen zu haben.

Wenn nun der Leiter des Bayreuther Wagner-Museums Sven Friedrich Lydia Grün öffentlich eine übertriebene cancel-Kultur vorwirft und gegen die Absage des Konzerts protestiert, sollte man ihm zurufen: Lieber weißer alter Mann, kümmere dich erstmal um die Aufarbeitung der dunklen Kapitel von Bayreuth und um die bekannten und unbekannten Leichen im Keller des Hauses Wahnfried und des Festspielhauses…und lass die Präsidentin der Musikhochschule ihre Arbeit machen.

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