Cenerentola in Weimar

Aschenputtel trifft Goethe…

Die Neuinszenierung von Gioacchino Rossinis „La Cenerentola“ am Deutschen Nationaltheater Weimar ist ein gefeiertes Ereignis!

Von Roberto Becker

(Weimar 16. März 2024) Wenn man davon liest, dass Rossinis „Cenerentola“ auf Goethe trifft, die berühmte Anna Amalia Bibliothek brennt und wieder aufersteht, den bösen Stiefschwestern der Verstand bei TikTok abhanden gekommen ist und das Ganze als Inszenierung zu Rossinis genialer Musik passen soll, denkt man schon für einen Moment: na, wenn das mal gut geht.

Wenn man dann aber liest, dass Roland Schwab den Regiehut auf hat und sich daran erinnert, wie schlüssig und erfrischend gegenwärtig er vor über zwanzig Jahren in Meiningen mit Mozarts „Cosi fan tutte“ und „Le nozze di Figaro“ zu einer beachtlichen Karriere durchstartet ist (und u.a. 2022 in Bayreuth einen „Tristan“ beisteuerte), dann ist man schon mal beruhigt. Hier ist ein Regisseur am Werk, der sich nicht vor opulentem Theater mit Hintersinn scheut und der obendrein Personenregie perfekt beherrscht.

Verlässt man nach der jüngsten „La Cenerentola“-Premiere das Nationaltheater in Weimar, dann hat man ein Musterbeispiel für vitale, begeisternde Oper erlebt. Ohne, dass da einer in ein antiquiert historisches Bebildern oder eine betont minimalistische Psychologisierung ausgewichen wäre. Und man ertappt sich dabei, wie man dem auf Schillermaß hochgemogelten Goethe auf dem Denkmalsockel vertraut zwinkernd zugrinst.

Schwabs Bühnenbildner Piero Vinciguerra könnte man diesmal auch Bühnenarchitekt nennen. Wer es (wegen ziemlich komischer Öffnungszeiten) noch nicht geschafft hat, bei einer allemal lohnenden Opernreise nach Weimar, einen Besuch der Herzogin Anna Amalia Bibliothek vorzuschalten, dem wird in dieser Inszenierung geholfen. Mit einem Videoausflug in die Rokokopracht einer Herzkammer deutscher Bildungsbürgerlichkeit. Und mit einer Erinnerung an die große Katastrophe von 2004, als dieses Kleinod lichterloh brannte.

Schwab nimmt dafür die beiden ziemlich unerträglichen Töchter von Don Magnifico in Haftung. Der als Hausmeister angeheuerte Vater hat gerade mit allen drei Kindern die Dienstwohnung in der Bibliothek bezogen. Selbstverliebt, im TikTok-Universum verloren, drehen sich die beiden Schwestern aus herausgerissenen Buchseiten eine Zigarette, werfen sie unachtsam weg und verursachen so den Brand. Ganz nach dem Motto: Bildung zündet, Unbildung zündelt. …

Zwanzig Jahre danach ist der Schutthaufen Gott (und einer gewaltigen gesamtgesellschaftlichen Anstrengung) sei Dank nur noch mahnende Erinnerung. Aber selbst auf diesem Schuttberg sind die Büsten von Goethe, Schiller und Co. noch lebendig und kommentierten das Geschehen. Es ist einfach eine grandiose Idee, den Wechsel des Schauplatzes auf offener Bühne als die Wiederherstellung der Pracht dieses Baus zu zelebrieren. Auf einen Wink von Strippenzieher und Fürstenerzieher Alidoro schwebt erst ein goldener Engel aus dem Schuttberg in die Höhe und dann, ganz langsam, der nachgebaute Rokokosaal von oben herab. Das Resümee einer Kraftanstrengung als Bühnenzauber!

Es ist höchst plausibel, wenn sich nach dieser Katastrophe von 2004 Magnifico (komödiantisch präsent: Uwe Schenker-Primus) und sein Anhang im 19. Jahrhundert und dem Weimar von Goethe und Carl August wiederfinden. In dieser Klassikerhochburg mit ihrem kulturaffinen Hof und der Ballung von Geistesgrößen, wird der Fürstenerzieher Alidoro fast von selbst zu Goethe und der Prinz zu „seinem“ Herzog. Dessen Auftritt erfolgt dann auch gleich wortwörtlich im berühmtesten Bild von Tischbein, das den Italienliebhaber in der Campagna mit Hut und Umhang zeigt. Es gehört zu den vielen witzigen Details, wenn der dezent mit dem Publikum paktierende Philipp Meierhöfer in dieser Rolle immer wieder versucht, die Pose des Bildes einzunehmen.

Wenn sich der wunderbar lyrisch federnde Taejun Sun als Don Ramiro und der wohlklingend eloquente Ilya Silchuk als Dandini in diesem Saal zu einem Duett durch eine Auswahl goldener Faust-Zitate und des berühmtesten aus dem „Götz von Berlichingen“ arbeiten und die entsprechenden Schrifttafeln ins Publikum halten und dann fallen lassen, ist das nur ein Beispiel für das dezent ironische Spiel mit der Bildung des Publikums. Wenn man aber sieht, wie die beiden Möchtegern Influencerinnen Tisbe (Marlene Gaßner) und Clorinda (Ylva Sternberg) mit Gedrucktem umgehen und bei ihnen die geschriebene Sprache zur Emoji- oder Kürzelkommunikation degeneriert ist, wirkt das wie ein Menetekel. Im Grunde kann die künftige Herzogin Angelina (mit einnehmendem, hellem Mezzo Sayaka Shigheshima) froh sein, dass sie die beiden am Ende los wird. Sie sind einfach zu doof, um ihre Chancen vor Ort zu erkennen und nutzen.

Wie dem auch sei – diese Weimarer „Cenerentola“ ist ein Glücksfall, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Kann gut sein, dass der szenische Wurf auch noch auf den musikalischen Drive anfeuernd wirkt, bei dem sich Andreas Wolf mit der Staatskapelle gelegentlich noch etwas zurückhält. Beim Jubel hielt sich an diesem Abend niemand zurück.

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