Asmik Grigorian ist eine überragende Salome in Hamburg

Der Prophet trägt Cord

Asmik Grigorian ist der Superstar in Dmitrij Tcherniakovs „Salome“-Inszenierung an der Hamburgischen Staatsoper

Von Joachim Lange

(Hamburg, 1. November 2023) Der vielbeschäftigte russische Regisseur Dmitrij Tcherniakov und der Hamburger GMD Kent Nagano haben ihrer „Elektra“ von 2021 an der Hamburgischen Staatsoper jetzt eine „Salome“ hinterdrein geschickt und damit einen Coup gelandet! Vor allem, weil hier mit Asmik Grigorian eine Salome im Zentrum steht, die selbst hartgesottene Richard-Strauss-Fans auf ihrem Opern-Klappsessel in die Hab-acht-Stellung treibt. Es ist einer der seltenen Fälle, bei der die Interpretin der Titelrolle das Ereignis des Abends ist, das alles andere überstrahlt. Und da gibt es einiges: Angefangen bei den exzellenten, rollendeckend agierenden übrigen Protagonisten, ohne sie an die Wand zu singen und zu spielen. Über das Orchester, ohne mit ihm in einen Dauerclinch zu geraten, wer von beiden dominiert, sondern Klangrausch und den Gesang organisch zu verbinden. Nicht zuletzt die Inszenierung, obgleich die mit einer faszinierenden Opulenz für sich steht und obendrein einen Zeitsprung beglaubigt, beim dem sogar mal der Kopf des Propheten dran bleibt. Dennoch sitzt und tafelt das Grauen von Anbeginn mit am Tisch.

Die litauische Sopranistin hat sich zwar schon vor fünf Jahren in Romeo Castelluccis symbolisch karger Installation in der Felsenreitschule bei den Salzburger Festspielen an die Spitze der amtierenden Salome-Interpretinnen gesetzt, aber was sie jetzt in Hamburg lieferte, ist live nirgends auf der Welt besser zu erleben. Eine Intensität und Leuchtkraft in allen Lagen, ein müheloses Anschwellen und zarte Töne, die dennoch bis in den letzten Winkel des Saales dringen. Dazu das jugendliche Timbre einer Frau, deren sexuelles Erwachen gleich als Gier daher kommt. Sie ist eine, die offenbar schon Missbrauchserfahrungen hinter sich und einen Hang zur Hysterie hat. Die mustergültige Wortverständlichkeit gibt es hier noch obendrauf.

Asmik Grigorian als Salome Foto: Monika Rittershaus

Tcherniakov bleibt als Regisseur und Bühnenbildner mit dieser „Salome“ ästhetisch in der Nachbarschaft seiner „Elektra“. Zeitlich näher an der Gegenwart. Altes Interieur ist mit durchsichtigen Plastik-Designer-Stühlen aufgepeppt. In den Regalen findet sich eine illustre Sammlung von diversen Köpfen. Der Hausherr selbst fällt mit seinem albernen Anzuglook ebenso aus dem Rahmen wie seine Frau mit ihrer aufgeplusterten Eleganz ihrer Robe und einem Kopfschmuck, als wollte sie die Königin der Nacht geben. Herodes und Herodias sind hier klassische Parvenüs mit Oligarchengeschmack. John Daszak und Violeta Urmana spielen und singen diese beiden grandios zwischen grotesk und komisch.

Die Tischgesellschaft ist bunt gemischt – die Juden tragen Schwarz, andere einen goldfarbenen Turban oder auffällig hell Gemustertes. Ausgerechnet der besondere Gast des Abends, ein Intellektueller (bzw. fundamentalistischer) Außenseiter, ist im nüchternen Cord-Zivil erschienen und sitzt dem Hausherrn gegenüber. Er demonstriert Distanz zu seinen Gastgebern, indem er – offensichtlich gelangweilt oder angewidert von der Dekadenz, die hier die Atmosphäre beherrscht – liest. Um dann doch mit bewusst unverschämten Kommentaren zur Hausherrin, den Hofnarren zu spielen, der Wahrheiten ausspricht, die alle kennen aber sich nicht zu sagen trauen. Jochanaan wirkt hier wie eine Tchechow-Figur, die sich im Stück geirrt hat. Kyle Ketelsen singt ihn nicht aus einer Zisterne, sondern mit dem Rücken zum Publikum. Er dringt mit seiner entschiedenen Prägnanz ebenso unmissverständlich durch, wie er Salomes Übergriffigkeit entschlossen abwehrt.

Wie zu erwarten kommt die leicht wohlstandsverwahrloste Tochter des Hauses bewusst zu spät zum Geburtstagsdiner ihres Stiefvaters. Sie verweigert der Mutter die (mehr für die Gäste gedachte, denn von ihr wirklich erwünschte) Umarmung zur Begrüßung und gibt demonstrativ den aufmüpfigen Teenager. Natürlich sympathisiert sie mit den Attacken des seltsamen Gastes gegen ihre Mutter. Diese Rebellieren gipfelt in dem absurden Verlangen nach dem Kopf des Gastes. Das freilich bleibt diesmal ihr Problem. Salome ist die einzige, die den Abend nicht überlebt. Sie stirbt aber nicht, weil Herodes sie töten lässt, sondern an sich selbst. An ihrer Unfähigkeit, ihre Lebensgier mit ihrer Umwelt irgendwie in Übereinstimmung zu bringen.

Tcherniakov projiziert die archaische biblische Radikalität der Vorlage in die Welt einer spätbürgerlichen Dekadenz. Da gehören abgetrennte Köpfe von Propheten sublimiert als Kunst in eine entsprechende Sammlung und nicht real zwischen die Schenkel einer gänzlich aus der Bahn geratenen Prinzessin. Allein was tuts! – könnte man sagen, die Musik bleibt was sie ist. Eine verführerische Exkursion in die Abgründe – bis dahin wo die Liebe bitter schmeckt. Und ihr Sog ist unwiderstehlich. Auch wenn kein Blut fließt. Schon Narraboth (den Oleksiy Palchykov eher durchdringend strahlend, als schmachtend singt) gibt hier nur in seinem Bemühen, Salome zur Räson zu bringen, einfach auf ohne Selbstmord zu begehen.

Eine besondere Herausforderung für die Regie ist der Tanz der Salome. Mit einer Asmik Grigorian wären da alle Optionen offen. Tcherniakov lässt sie den Tanz mit einem kurzen Durchzucken beginnen und treibt die Szene dann aber in eine Studie über erinnerten Missbrauch und in eine traumatisierende Erstarrung. Sie ahnt schon, worauf der Abend hinausläuft und schminkt sich weiß. Herodes hat zu seinem „Tanz für mich“ schon ein passendes Kostüm in einer Geschenkverpackung bereit, das er seiner Stieftochter genüsslich (und wohl nicht zum ersten Mal) anlegt. Was folgt ist der Auftritt auf der Tafel und dann die innere Erstarrung. Als Krankheit zum Tode hin? Sie tanzt auf der Tafel vor aller Augen. Als Jochanaan, sich endgültig abwendet und einfach geht, überlebt sie das nicht. Das sitzt – auch, oder gerade weil das jenseits akrobatischer Exzesse als Projektion über die Bühne geht. Den Schockeffekt eines abgeschlagenen Kopfes erspart Tcherniakov seinem Publikum, er ersetzt ihn durch den einer größeren Nähe zu uns als man gemeinhin vermutete.

Das Publikum reagiert mit stehenden Ovationen!

 

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