Robert Levin an Mozarts Fortepiano – neue CD

Homecoming

Robert Levin an Mozarts Fortepiano

Von Bernhard Malkmus

(Februar 2023) In seinen Vorlesungen an der Harvard University – sei es über Jazzimprovisation, die Sonatenhauptsatzform oder historische Aufführungspraxis – prägte Robert Levin seinen Studierenden gerne das deutsche Wort ‚Fingerspitzengefühl‘ ein. Es sei die Grundlage allen Musizierens. Nun ist der leidenschaftliche Mozartspieler und -improvisator pensioniert und definiert am Fortepiano, das Mozart selbst während seiner Wiener Jahre spielte, noch einmal neu, was dieses wunderbare Wort (das für jeden Amerikaner ein Zungenbrecher ist) wirklich bedeutet.

2005 bereits hatte Robert Levin bei Harmonia Mundi und auf einem Stein-Fortepiano von 1777 einen Sonatenzyklus auf den Weg gebracht, doch das Projekt kam schon nach den ersten drei Sonaten ins Stocken. Nun also bei ECM und an Mozarts eigenem Fortepiano, vermutlich 1782 von der Firma Walter gebaut und vom Salzburger Mozarteum bestens erhalten. Um es gleich vorwegzunehmen: die Einspielung ist eine echte Offenbarung – und das sagt sich nicht so einfach dahin bei einer so hochkarätigen Diskografie. Das hat vor allem damit zu tun, dass Levin geradezu mit dem Instrument verwachsen zu sein scheint und es zum Leben erweckt, als sei es ein Familienmitglied der Familie Mozart gewesen. Staunend folgt man der freundlichen Wärme, dem störrischen Trotz, der zärtlichen Zugewandtheit, der schmeichelnden Verführungskunst, dem messerscharfen Humor dieses Mitbewohners.

Zu allem scheint er fähig: von kammermusikalischer Introspektion zu opernhafter Extravertiertheit. Levin weiß, wie er dem Instrument die unterschiedlichsten Stimmungen entlocken kann. Und er demonstriert ganz nebenbei, wie Mozarts musikalische Rhetorik und Eloquenz aus den mechanischen Bedingungen ebendieses Instruments mit seinen mit Leder (statt Filz) überzogenen Hämmerchen heraus verstanden werden müssen: seine Wärme im mittleren Register, der einen angenehmen Gesprächston verbreitet, seine silbrige Brillanz in den höheren Lagen, die große Palette an Klangfarben und die perlende Heiterkeit und gleichzeitig sonore Tiefenschärfe, die der Verzierungskunst eine neue Beredtheit verleiht. Levin unterstreicht diese Beredtheit noch dadurch, dass er die Ornamente in den Wiederholungsteilen oft improvisatorisch abwandelt und ausgestaltet.

Beispielsweise exponiert Levin die beiden Themen in der C-Dur-Sonate (KV 309) sehr kontrastiv, Opera buffa versus konzertanten Ésprit. Durch die nuancierten Improvisationen in den Wiederholungen nähert Levin nun diese Kontraste aneinander an, führt die Gegensätze aneinander zu und stößt sie dann wieder voneinander ab. Als gebe es in den Verzierungen eine zusätzliche verspielte Meta-Durchdurchführung. Überhaupt lässt Levin seine Zuhörer wieder das Spielen lernen, die Menschlichkeit des Spielens begreifen. Im Geiste des Spiels und der Konversation, die Mozarts Musik zum Ausdruck der Aufklärung machen, hat Levin auch drei Fragment gebliebene Klaviersätze vollendet und aufgenommen. Die Kompositionen zeugen von einer tiefen Auseinandersetzung mit den musikalischen Temperament Mozarts, mit seinem Instrument und mit dem Zeitgeist.

Alles ist da, was Mozarts Musik so einzigartig macht: die überschäumende Freude, die sublimierte Trauer, die Hingabe ans selbstvergessene Spiel. Vor allem versteht es Robert Levin jedoch, Geschichten zu erzählen, Spannungsbögen zu gestalten, einen Witz zu machen und uns eine Nase zu drehen, Konversation zu pflegen und uns mit einer Geschichte am Arm zu halten. Alles Virtuose ist grundiert von einer untrüglichen Menschlichkeit. Am gelungensten ist seine Gesamteinspielung dort, wo die langen narrativen Bögen und die Ornamentik als Teil der gleichen Ästhetik und der gleichen emotionalen Rhetorik spürbar sind. Das ist sehr oft der Fall. Besonders hervorgehoben seien in dieser Hinsicht die Sonaten 10 (KV310), 12 (KV332), 14 (KV457) und 15 (KV533). Und spätestens beim Andante con espressione der Sonate 8 (KV311) begreift jeder Zuhörer, dass es sich hier um das Homecoming dieser Meisterwerke in ihr eigentliches Milieu handelt. Eine Referenzaufnahme.

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