La Gioconda mit Netrebko in Salzburg

Eine Frau, die sich wehrt

Bei den Osterfestspielen kehrt Anna Netrebko als La Gioconda in Amilcare Ponciellis gleichnamiger Oper nach Salzburg zurück und begeistert das Publikum

Von Roberto Becker

(Salzburg, 27. März 2024) Eine Spielplanseltenheit wie Amilcare Poinchiellis (1834–1886) „La Gioconda“ einstudieren und dann nur dreimal zu Ostern in Salzburg aufführen, wäre wirklich Verschwendung. Die aktuelle Festspielproduktion ist denn auch mit dem Royal Opera House Covent Garden und der Greek National Opera Athen koproduziert.

Das im Ringjahr 1876 in Mailand uraufgeführte Monstrum, das alle finsteren Opern-Klischees überreich bedient, segelt ziemlich ungeniert im Windschatten von Verdi. Dadurch kann zumindest die Musik ohne Hindernisse an die Hörgewohnheiten eines Publikums andocken, dem vor allem das 19. Jahrhundert die Maßstäbe liefert. Kurioserweise ist die Ballettmusik „Der Tanz der Stunden“ die bekannteste Nummer dieser Grand Operá. Da die Titelpartie außerdem in den überlieferten Kanon von Maria Callas gehört, hat die finstere Geschichte zu der Arrigo Boito (unter dem Pseudonym Tobia Gorrio) das Libretto aus einer Vorlage von Victor Hugo destillierte, wenigstens zwei Platzhalter im kollektiven Gedächtnis.

Für diesen auf den melodischen Sound einer sofort erkennbaren italienischen Dramatik fokussierten Orchesterklang sind Antonio Pappano und die Musiker des Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia genau die richtige Basis für den vokalen Luxus, den Osterfestspielintendant Nikolaus Bachler aufbieten muss, um in der Osterwoche das Große Festspielhaus dreimal bei Spitzenpreisen von bis zu 490 Euro zu füllen. Was ihm natürlich gelingt. Zumal, wenn Anna Netrebko den Besetzungszettel anführt. Sie hat tatsächlich das Format, sich einer typischen Callas-Partie zu stellen und sie ihrem Rollenrepertoire hinzuzufügen.

Was Oliver Mears (Regie), Philipp Fürhofer (Bühne), Annemarie Woods (Kostüme) und Lucy Burge (Choreographie) als szenischen Rahmen dafür boten, war das typische Beispiel einer gescheiterten Vergegenwärtigung dieser Geschichte, die schon in ihrem originalen Umfeld ziemlich krude daherkommt. Weder der Mob, der eine alte Dame auf das Wort eines Verleumders hin ruck zuck auf dem Scheiterhaufen verbrennen will, noch dessen Bändigung durch das Wort eines Amtsträgers funktionieren mit einer venezianischen Touristenmeute von heute im Schatten einer Oligarchenjacht.

So wie das in Salzburg über die Bühne geht, wird daraus keine Übersetzung des Stoffes in die Gegenwart, sondern nur eine Verkleidung, bei der die Originalzeit immer wieder hervorlugt. Dazu kommt eine Chorregie, die das exzellent singende Kollektiv allemal als illustrierendes Tableau behandelt und allen meist die der Musik am nächsten liegende Gestik verordnet.

Finsterling Barnaba liebt die Straßensängerin Gioconda, die wiederum liebt den verbannten Prinzen Enzo Grimaldo, der seinerseits die Frau des mächtigen Patriziers Alvise Laura liebt (und am Ende gegen jede Opernwahrscheinlichkeit auch bekommt). Und das nur dank Gioconda, die selbst verzichtet und zu Lauras und Enzos Gunsten eingreift, weil Laura einst ihre blinde Mutter vor dem Mob gerettet hatte. Barnaba hatte sie als Hexe denunziert. In der Vorlage bringt sich Gioconda am Ende um. Das macht sie hier nicht. Nachdem sie schon Alvise auf offener Szene niedergestochen hatte, was unter den Bankett-Gästen im Freizeitlook (in Italien!) niemand irgendwie zu stören scheint, ersticht sie am Ende auch Barnaba.

Dass zur Ouvertüre und dann noch einmal als Handlungsballett beim „Tanz der Stunden“ erzählt wird, wie die junge Gioconda, nach dem Tod des Vaters, von der Mutter zur Prostitution gezwungen wurde, mag ein mildernder Umstand für den zweifachen Mord sein; und auch als Erklärungsversuch für den großmütigen Verzicht auf den Geliebten und jedwede Eifersuchtsgelüste Laura gegenüber taugen, der Inszenierung insgesamt nützt es nicht viel.

Auf der Bühne bleibt es so lediglich bei einer Ahnung von venezianischem Flair für Sängerstartheater. Das ist allerdings vom Feinsten. Hier überzeugt – wen wunderts – zu allererst die Netrebko. Der konnte man seit ihrer Donna Anna im Großen Festspielhaus vor 22 Jahren immer wieder an diesem Ort beim Reifen ihrer Stimme und ihres darstellerischen Charismas zusehen. Abgesehen von der Aufmerksamkeit außerhalb der Bühne, die sie immer schon, ob freiwillig oder nicht umgibt, ist und bleibt sie eine Künstlerin, die die Bühne beherrscht, ohne dabei jemanden an die Wand zu singen. Sie kann Ensemblespiel. Was wohltuend auffällt, wenn sie mit der unverbraucht kräftigen, nicht allzu dunklen Mezzostimme von Eve-Maud Hubeaux als Laura oder der noblen Altstimme von Agnieszka Rehlis in der Rolle der Mutter gemeinsam singt. Netrebkos Stimme ist dunkler geworden, vermag sich aber in zarte, intensive Piani in der Höhe aufzuschwingen. Auf der anderen Seite gleitet sie geschmeidig ohne störende Brüche in die ausgebauten tieferen Register. Es ist faszinierend zu erleben, wie hier technisches Können in Verbindung mit einer strömenden Stimme von ganz eigenem Timbre zu einer intensiven Gestaltung verschmelzen. Der Jubel des Publikums war denn auch besonders ihr sicher.

Für das Format eines Jago- oder Scarpia ist die Denunzianten Rolle des Barnaba zwar etwa zu banal gedacht, aber Luca Salsi bietet seinen durchweg wohlklingenden, klaren Bariton für diesen Fiesling auf. Als Alvise vermag Tareq Nazmi seiner soliden vokalen Kraft eine Dosis Zynismus hinzuzufügen, zumindest wenn er seine bloßgestellte Frau zum Selbstmord drängt. Jonas Kaufmann als Lauras Geliebter Enzo gelingt ein Rollenporträt, das die Vorzüge seiner Stimme (zumindest in der zweiten Vorstellung am 27.3.) weder durch auffällig Gaumiges noch Unsicherheiten beeinträchtigt, warm aufscheinen lassen.

Pappano wiederum beeindruckt mit dem Kunststück, die großformatigen Auftritte des Choro dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, ebenso wie die Glanzstücke seiner Stars zu einem harmonischen Ganzen zu fügen, stets die Balance zu den Stimmen zu wahren und sie nie zu überdecken. Sein Orchester spielt so, als hätte das Große Festspielhaus keinerlei akustische Klippen. Es ist eine Prachtentfaltung von Orchester und Stimmen, wie man sie in dieser Ausgewogenheit im Großen Festspielhaus nicht oft erlebt. Da sind die Geschichte, die geboten wird, und ihr szenischer Rehabilitationsversuch geradezu zweitrangig.

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1 Antwort
  1. Waltraud Becker
    Waltraud Becker sagte:

    Völlig unverständlich, dass die massiven Intonationsprobleme der Titel-Sängerin besonders im 3.Akt unerwähnt bleiben…
    Das Spiel ist -wie in letzter Zeit zumeist- formelhaft oder überbordend, jedenfalls kaum auf die weiteren Darsteller auf der Bühne bezogen.
    Einzig mit dem letzten Akt konnte man wirklich zufrieden sein.
    Die Aufmerksamkeit außerhalb der Bühne, mit Mode-Posen und in spärlicher Bekleidung überwiegt längst die Leistung auf der Bühne.
    Schade um die noch immer so schöne Stimme.

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