Glass-Oper In der Strafkolonie im Münchner Justizpalast

Folter im Justizpalast

Die private Operntruppe Opera Incognita beeindruckt mit einer Inszenierung von Philip Glass‘ Kafka-Oper „In der Strafkolonie“ („Penal Colony“) im Münchner Justizpalast

Von Robert Jungwirth

(München, 26. April 2024) Recht, Gesetz, Macht, Unfreiheit und eine undurchsichtige Obrigkeit spielen in vielen Texten von Franz Kafka eine bedeutende, ja zentrale Rolle – nicht nur im berühmten „Prozess“. Auch die Schauererzählung über eine Strafkolonie, in der Straftätern oder solchen, die man dazu erklärt, ihre Vergehen von einer Foltermaschine in den Körper eingestochen werden, dreht sich um die Frage von Recht und Gerechtigkeit.

Was für eine tolle Idee, die nach Kafkas Erzählung von Philip Glass komponierte Oper aus dem Jahr 2000 in einem Palast des Rechts, im Münchner Justizpalast aufzuführen. Die Idee dazu hatte die kleine, aber überaus engagierte private Opernkompagnie Opera incognita, die seit 2005 eigenständige und frei finanzierte Opern in München anbietet – mit großem Erfolg und auf sehr beachtlichem Niveau.

Franz Kafka hätte sicher seine Freude gehabt, an einem solchen Ort aufgeführt zu werden (er hat übrigens diese Erzählung selbst einmal öffentlich in München gelesen). Und Regisseur Andreas Wiedermann nützt die grandiose, aber auch ziemlich einschüchternde Architektur dieses spektakulären Gebäudes geschickt für seine Inszenierung (mit einem wirkungsvollen Lichtdesign von Jo Hübner).

Ständig werden von Gerichtsdienern in seltsamen Uniformen Dokumente die weitläufigen Treppen hinauf und hinunter getragen. Die Mühlen der Justiz arbeiten langsam, aber beständig. Eigentlich erstaunlich, dass sie überhaupt mahlen, denn in dieser Strafkolonie gibt es zwar Urteile, aber keine Prozesse. Urteile werden von den Leuten erlassen, die sie auch vollstrecken. Das ist das Erschreckende oder eines der erschreckenden Dinge in dieser Kolonie. Es ist der Alptraum von einem aus dem Ruder gelaufenen, perversen Bestrafungs-Systems, das Kafka 1914 imaginiert hat. Veröffentlicht wurde der Text erst nach dem Ersten Weltkrieg 1919. Und mit dem er einiges von der Alptraumherrschaft der Nationalsozialisten vorweggenommen hat.

Ein Besucher inspiziert die Kolonie und deren ominöse Foltermaschine, der der neue Kommandant skeptisch gegenübersteht. Vermutlich ist der Kommandant sogar der Auftraggeber für die Inspektion. Der Besucher jedenfalls ist zusehends erschüttert von den begeisterten Berichten des Offiziers über die Maschine, die der vormalige Kommandant entwickelt hatte. Dan Chamandy im eleganten Sommeranzug der 30er oder 40er Jahre (Ausstattung: Aylin Kaip) spielt den Besucher mit der nötigen Beherrschung gegenüber dem mehr und mehr die Fassung verlierenden Offizier, der merkt, dass sein Besucher seine Begeisterung für das Folterwerkzeug einfach nicht teilen will. Manuel Kundinger gibt dem Offizier einen irren touch, bleibt dabei aber verschroben-realistisch – ganz kafkalike. Dass er in einer schwarzen Uniform steckt, die mit roter Farbe vollgespritzt ist, die ein wenig an die Uniformen der Nazis erinnert, ist in diesem Fall sicher kein falscher Bezug.

Foto: Opera Incognita

Beide Sänger singen perfekt im Glass’schen Idiom, dabei wie es scheint ohne Anstrengung selbst in den häufigen hohen Lagen (Dan Chamandy). Das Bühnenbild ist natürlich vor allem die Architektur des Justizpalastes, dazu ein Tisch, zwei Stühle und ein riesiger, herabhängender und rot verschmierter, spitz zulaufender Stoffschlauch – die Foltermaschine. Klar wäre eine richtige Maschine aus Stahl, die rattert  eindrucksvoller, aber die reduktionistische Abstraktion ist auch nicht verkehrt.

Auch das kleine, aus fünf Mitgliedern bestehende Orchesterchen (von Glass für diese Anzahl von Musikern komponiert) agiert fabelhaft und präzise unter der Leitung von Ernst Bartmann und das obwohl der Riesenraum natürlich überakustisch ohne Ende ist. Dazu kommt noch ein wunderbarer A-capella-Chor, der hin und wieder besinnliche Choräle über die Schuld des Menschen vor Gott einstreut. Man kann nur staunen über das hohe musikalische Niveau, das hier insgesamt geboten wird. Und selbst die stumme Rolle des geschundenen Verurteilten, an dem die Maschine glücklicherweise letztlich scheitert, wird von Stefan Boschner eindringlich und mit großem Körpereinsatz veranschaulicht.
Eine fantastische musikalisch-szenische Leitung und eine Ehrenrettung Münchens im Kafka-Jahr 2024. Wo bleibt die Staatsoper?

Werbung
Werbung

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert