Ein neuer Figaro an der Komischen Oper

Vorsicht: Kunst!

Im Schillertheater setzt die Komische Oper ihren Mozart Da Ponte Zyklus fort. Kirill Serebrennikov hat jetzt „Le nozze di Figaro“ inszeniert.

Von Roberto Becker

(Berlin 27. April 2024) Noble Automarken, traumhaft gelegene Immobilien, teure Uhren, weite Reisen – das sind alles Statussymbole, die heute Reichtum und damit verbundene Macht sichtbar machen. Für die Bühne sind ausgesuchte Kunstwerke als entsprechende Metaphern prädestiniert. Schon, weil man so ganz bei sich selbst bleibt und Kunstobjekte in einer Kunstanstrengung zur Chiffre von Macht werden. So wie beim Grafen Almaviva in der jüngsten „Le nozze di Figaro“ Inszenierung von Kirill Serebrennikov im Schillertheater, das ja bis auf weiteres die Komische Oper beherbergt. Was dieser Almaviva sammelt und ausstellt ist groß, neu, auch mal alt, vor allem aber (vermutlich sehr) teuer. Das zumindest soll man verstehen. Worum es mit diesen Kunstwerken geht, ist da zweitrangig. Der Leuchtröhren-Schriftzug „Capitalism kills love“ kokettiert sogar mit dem, was diese Art von Kunst selbst befördert bzw. wovon sie profitiert.

In vorkapitalistischen Zeiten reichte es in der Regel, wenn gesellschaftlicher Status durch die mit Adelswappen verzierte Herkunft, also den Stand, beglaubigt war. In diese Verhältnisse haben Da Ponte und Mozart (und davor noch deutlicher Beaumarschais) das sogenannte Recht der ersten Nacht hineinprojiziert, auf das der Graf Almaviva zwar formal verzichtet hat, aber in Bezug auf die schmucke Susanna, die gerade seinen Figaro heiraten will, nicht daran denkt, sich auch daran zu halten.

Heute, da aus dem Stand in einer feudalen Gesellschaftspyramide und den damit verbundenen Privilegien ein Standing in der Konkurrenzgesellschaft geworden ist, bereiten auch bei rein bürgerlicher Rechtsgleichheit, strukturelle Machtgefälle den Boden für Übergriffe und befeuern neuerdings so etwas wie die MeToo-Debatten. Das sind günstige Zeiten für die Opern des Beziehungsspezialisten Mozart.

Ein Regisseur wie Kirill Serebrennikov vertraut dabei aber nicht allein auf die in der Genialität von Mozarts Musik liegende Überzeitlichkeit. Er macht sie sichtbar. Er macht die Figuren nackt, um sie als Menschen von heute erkennbar zu machen. Zumindest metaphorisch. Bei den Männern auch gerne mal real. Wie jetzt seinen Cherubino. In dieser Rolle eines Taubstummen setzt Georgy Kudrenko seine Nacktheit offensiv auch ganz direkt als erotisches Argument virtuos choreografiert ein. Einmal kann ihn seine Cherubina (Susan Zarrabi) gerade noch davon abhalten, auch seine Shorts auszuziehen. Ein andermal gelingt ihr das nicht und er absolviert seinen berühmten Sprung aus dem Fenster tatsächlich splitterfasernackt. Der Logik dieses Figurensplittings entsprechend, springt Cherubina hinterher. Das ist einer von vielen szenischen Gags, die zünden. Aber die Aufteilung der Figur des liebeskranken Jünglings, der hinter allen Frauen her ist, in einen körperliches Begehren ohne Worte ausdrückenden männlichen Teil und eine singende weibliche Dolmetscherin, macht ihn nicht nur als vage Andeutung, sondern ganz handfest attraktiv zur realen Konkurrenz für die Männer im Stück, die ihre Frauen tatsächlich als Eigentum betrachten und behandeln.

Das Machtgefälle in der Struktur der Vorlage hat Serebrennikov, der wie immer sein eigener Ausstatter ist, direkt in einen Bühnensetzkasten übersetzt. Im düster zugemüllten Kellergeschoss unter der hellen Ausstellungshalle sind nicht nur etlicher Waschmaschinen und die Spinde fürs Personal untergebraucht. Hier sollen sich Susanna und Figaro auch mit einer Matratze einquartieren (was im Gesamtkontext in seiner Schäbigkeit nun doch etwas übertrieben und nicht ganz schlüssig wirkt). Diese Matratze wird aber immerhin zur Projektionsfläche für den SMS- bzw. WhatsApp-Kommunikation, auch wenn der Internetempfang im Keller höchstens eher zufällig funktioniert.

Der aufgespaltenen Cherubino-Figur fiel zwar die Rolle der Barbarina zum Opfer – ihre Arie über die verlorene Nadel (bzw. Unschuld) wird aber von der Gräfin gerettet. Auch sonst kommt alles, was gewöhnlich bei Marcellina, Bartolo oder Basilio so gestrichen wird, an diesem Abend zu Bühnenehren. Das ist zwar nicht schlecht für einen dezidiert frechen Regisseur, dürfte aber kaum die Schnappatmung bei den Puristen verhindern. Verblüffend passend war das vom Grafenpaar und Susanna aus „Così fan tutte“ übernommene „Soave sia il vento“ als Einstieg in den zweiten Teil des Abends. Dabei lässt die eher handfeste Körperlichkeit auch das ins surreal Unwirkliche ausweichende zu. Exemplarisch, wenn der hinzugefügte junge Mann (Nikita Elenev) als Liveperformance eine komplette Vernissagegesellschaft meuchelt. Eine Show für sich ist aber auch Nikita Kukushkin, der als Scherge des Grafen nicht nur dessen Schoßhündchen ist (und sich manchmal sogar so gebärdet), sondern auch dessen dunkelste Obsessionen verkörpert.

Dieser lange, mit szenischen Überraschungen gespickte Abend, ist ein gelungenes Ganzes, weil Gesang und Musik in diesem Feuerwerk einer ambitionierten Phantasie und aparten Sinnlichkeit nie untergeht oder zu kurz kommt. Im Schulterschluss mit dem so beherzten wie sängersensiblen Dirigat von James Gaffigan können sich die Protagonisten allesamt darstellerisch und vokal entfalten. Imponierend ist die Präsenz mit der Tommaso Barea seinen virilen Figaro dunkel leuchtend ausstattet. Überzeugend das Berechnende, mit dem Hubert Zapiór seinen Almaviva zum Kunstliebhaber der besonderen Art macht. Penny Sofroniadou füllt die zentrale Stellung, die Susanna in diesem Stück hat, in jeder Hinsicht überzeugend aus. Nadja Mchantaf ist eine adäquat melancholische Contessa. Gerade wenn es (vor allem in der Nacht der Galerien am Ende) turbulent wird, bewährt sich das Ensemblespiel, das dem ganzen Abend zur Ehre gereicht.

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