Der Rosenkavalier unfreiwillig halbszenisch in Halle

Wenn der Eiserne nicht mitspielt

An der Oper Halle sorgte eine technische Panne für eine ganz besondere „Rosenkavalier“-Premiere ….

Von Joachim Lange

(Halle, 11. März 2023) So etwas erlebt man auch nicht alle Tage: Der „Rosenkavalier“, dieser Geniestreich von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal aus dem Jahre 1911, beginnt im Deutsche-Bahn-Modus, d.h. mit einer Verspätung. Zum Glück war niemand krank – der Eiserne Vorhang verweigerte schlicht und einfach den Dienst. Stromausfall, verzögerter Restart der Computersteuerung – so was in der Art. Dann entschied der Intendant des Hauses und Regisseur des Abends Walter Sutcliffe nach einer Viertelstunde ohne seine szenischen Beigaben einfach die Staatskapelle spielen und Sänger singen zu lassen.

Die Musiker und ihr Chef Fabrice Bollon hatten eh schon im Graben ihre Plätze eingenommen. Und den Protagonisten dürfte es (insgeheim) so unangenehm gar nicht gewesen sein, mal an der Rampe mit dem Eisernen im Rücken zu singen. Die Konzentration auf den Text, die sich dadurch wie von selbst ergab, ist in dem Falle kein Nachteil, denn was der kongeniale Strauss-Librettist als fiktives Maria-Theresia-Wien erfunden hat, ist ein eigenständiges Kunstwerk, das nicht nur für sich selbst steht, sondern mit einer ganzen Kollektion eigener Wortschöpfungen gewürzt ist.

In Halle werden Verständnishilfen in den Übertiteln gleich mitgeliefert. Mit der hübschen Pointe, dass Finesse mit Raffinement übersetzt wird. Während das auf die Dauer etwas übergriffig wirkt, lohnt das tief lotende Programmheft allemal die Lektüre!
Dass auf diese Weise die optische Umsetzung des Endes der Liebesnacht der Feldmarschallin und ihres jungen Liebhabers Octavian, eine musikalische, vom Orchester deftig imaginierte Vorstellung bleibt, ließ sich verschmerzen. Dass es so den wunderbaren Monolog der Marschallin über die Zeit, dieses sonderbar Ding, ohne Ablenkung gibt, ist ein Gewinn. Ob Romelia Lichtenstein die Einblicke in das vergangene und gegenwärtige Liebesleben der Marschallin auch im Rahmen eines Bühnenschlafgemachs so zu geben vermocht hätte? Hier jedenfalls verrät sie durch ihre Mimik, was sie ihrem Liebhaber dann doch lieber nicht erzählen will.

Hier hat sie hinter dem Vorhang dem Tenor (schmetternd: Chulhuyun Kim) offensichtlich nicht nur mit einem Händedruck gedankt. Das macht Spaß und hat auch beim Aufmarsch der Bittsteller und dem Hereinplatzen des Ochs auf Lerchenau seinen Reiz. Da neben dieser sich betörend verströmenden, gereiften Marschallin auch Yulia Sokolik als fokussiert eloquenter Octavian und die höhenzart sichere Franziska Krötenheerdt als Sophie mit von der Partie sind, wird das halsbrecherische Terzett der drei Frauen im dritten Aufzug tatsächlich zu einem musikalischen Prunkstück des Abends. Zum Duett der beiden jungen Leuten „Ist ein Traum kann nicht wirklich sein“ demonstriert dann Ballon obendrein, dass er sich auch auf das zart Zurückgenomme dieser feingewebten Musik bestens versteht, nach dem er das Deftige Zupackende hinreichend demonstriert hat.

Fabelhaft ist die Besetzung der kleineren Rollen. Robert Sellier und Gabriella Guilfoil machen aus dem Intrigantenpaar ein Kabinettstück. Michael Zehe bewährt sich als Notar und als (warum auch immer) abgewrackt verlotterter Kommissar. Vanessa Waldhart steuert die Leitmetzerin sogar auf Spitze trippelnd bei. Allesamt bis hin zu den Lakaien aus dem Chor (Johannes Köhler) und den Ochs angedichteten Kindern (Bartholomew Berzonsky) machen ihre Sache toll. Musikalisch und vokal war dieser besondere Premierenabend ein im ganzen geglückter Nachweis, dass ein Haus wie Halle den „Rosenkavalier“ mit dem eigenen Ensemble stemmen und mit etlichen Glanzlichtern versehen kann.

Szenisch war das Ganze (unfreiwillig) für die einen eine Zweidrittel- oder, je nach Geschmack, eine Eindrittel-Inszenierung….
In der ersten Pause hatte der Eiserne ein Einsehen, beendete seinen Streik und verschwand weder in der Höhe. Dass der Bühnenraum, sprich das Palais von Faninal, nach diesem Vorspiel mit einem Sonderapplaus bedacht wurde, lag wohl auch an der Erleichterung, doch noch etwas von der Ausstattung Kaspar Glarners zu sehen zu bekommen. Zudem beeindruckte der Auftakt des zweiten Aktes tatsächlich mit einer Raum- und Kostümopulenz. Die Phantasiebarock-Kostüme im Hause des Aufsteigers Faninal (der seine Tochter als Krönung einen Alt-Adligen heiraten lassen will) mögen von dessen Ambitionen zum gesellschaftlichen Aufstieg inspiriert sein. Gerd Vogel verkörpert ihn gekonnt und mit dosiertem Selbstbewusstsein. Trotz seiner pseudomodischen Frisur. Seltsam bleibt die schräge Vorliebe Sophies für überlange weiße Stiefel zum karierten Minirock.

Besonders Ki-Hyun Park hat es als Ochs schwer, dem notorisch übergriffigen Grabscher (auch zwischen seine eigenen Schenkel) einen Rest des Man-ist-was-man-ist-Selbstbewusstseins entgegenzusetzen. Vor der konkreten räumlichen und zeitlichen Verortung in die marmorierte spiegelnde Farbopulenz einer abstrakten Zeitlosigkeit auszuweichen und mit Handy, Mini und Kondomen Gegenwart zu behaupten ist das eine. Die szenische Umsetzung der musikalisch betörenden Überreichung der Silberrose oder die Komödienturbulenz des dritten Aufzuges auf die erotischen Probleme des Ochs zu reduzieren, darf man dabei dennoch als Verlust empfinden. Wobei der Ersatz der Schlusspointe der Oper, zu dem der (hier gestrichene) Diener der Marschallin nach einem Taschentuch greift, durch ein geheimnisvolles Bewegen des Vorhangs als selbstironisches Augenzwinkern zu ersetzen, wiederum Witz hat.
Am Ende beflügelte auch die Erleichterung, dass es noch mal gut gegangen ist, den Beifall für alle Akteure.

Musikalische Leitung: Fabrice Bollon, Inszenierung: Walter Sutcliffe, Bühnenbild: Kaspar Glarner, Kostüme
Kaspar Glarner, Video: Anke Tornow, Choreinstudierung: Johannes Köhler, Einstudierung Kinderchor: Bartholomew Berzonsky, Dramaturgie: Boris Kehrmann, Mit: Romelia Lichtenstein (Feldmarschallin Fürstin Werdenberg), Ki-Hyun Park (Baron Ochs auf Lerchenau), Yulia Sokolik (Octavian), Gerd Vogel (Herr von Faninal), Franziska Krötenheerdt (Sophie), Vanessa Waldhart (Jungfer Marianne Leitmetzerin), Robert Sellier (Valzacchi), Gabriella Guilfoil (Annina), Chulhyun Kim (Ein Sänger), Michael Zehe (Ein Notar / Ein Polizeikommissar).
Staatskapelle Halle, Chor der Oper Halle

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