Salieris Kublai Khan in Wien

Mit Ironie gegen den Krieg

Martin G. Berger inszeniert Salieris „Kublai Khan“ in Wien, Christoph Rousset dirigert sein Orchester Les Talens Lyriques

Von Thomas Migge

(Wien, 5. April 2024) Christoph Rousset hebt den Taktstock, seine Musiker spielen, der Vorhang öffnet sich und zu sehen ist ein pagodenartiges Gebäude mit goldfarbenem Dach. Sänger treten auf die Bühne. Die Oper scheint zu beginnen. Doch dann springt Christoph Wagner-Trenkwitz auf die Bühne. Der bekannte österreichische Theatermacher, Autor und Moderator ist im Stil des späten 18. Jh. gekleidet und ruft „Halt! Halt!“. Er unterbricht die gerade erst begonnene Aufführung.

Das militärische Bündnis zwischen Österreich mit Russland gegen die Türkei, erklärt Wagner-Trenkwitz, der sich als Antonio Salieri vorstellt, verhindere die Premiere seiner neuen Oper. Die nämlich sollte eigentlich 1787, mit einem Libretto von Giovanni Battista Casti, an der Wiener italienischen Hofoper aufgeführt werden. Salieris Oper wollte den Schlendrian, die Korruption und die wirtschaftliche sowie kulturelle Rückständigkeit der Russen auf den Arm nehmen. Doch die so genannte heroisch-komische Oper Salieris hätte den neuen Bündnispartner verärgern können. Also wurde die Uraufführung abgesagt. Erst jetzt, erklärt der Bühnen-Salieri, könne es zu der Uraufführung kommen. 235 Jahre später.

Die Regie von Martin G. Berger spielt mit verschiedenen Zeitebenen. Und so wird aus dem Mongolenherrscher Kublai ein Schorsch und der ist nun Eigentümer der Kublai Khan Süßwaren AG. Und der geht es finanziell nicht gut. Der einstige Verkaufsschlager, die Kublai-Kugeln, ähnlich den Mozart-Kugeln, verkaufen sich immer schlechter. Um sein Unternehmen zu retten, stellt Schorsch Kublai zwei Marketingexperten ein, Memma und Bozzone. Bald schon, so Schorsch Kublai, soll sein Sohn Lili das Unternehmen übernehmen, doch der junge Mann denkt nur ans Vergnügen.

Schorsch Kublais Neffe Timur verliebt sich in junge Russin Altima. Sie arbeitet für einen chinesischen Großkonzern, der die Kublai Kahn Süßwaren AG aufkaufen will. Das hört sich alles sehr modern und überspannt an, folgt aber ungefähr dem Libretto.

Die Inszenierung ist ungemein witzig. Es wird viel gelacht. Doch dann die Zäsur. Mitten in der Aufführung halten alle Beteiligten inne. Das Datum 24. Februar 2022 erscheint als große Projektion auf den Bühnenwänden: Der Einmarsch Russlands in die Ukraine. Die Handlung der Oper wird erneut unterbrochen. Wagner-Trenkwitz als Salieri erklärt, dass, eine Verbindung zwischen Kunst, Ironie und Krieg bestehe. Dass Kriege Kunst einschränken und unterdrücken. Und dass die Ironie trotzdem eine wirksame Waffe gegen kriegerische Machthaber ist und deshalb die Aufführung weiter gehen muss. Aber nicht mehr ausgelassen und witzig wie zuvor, sondern mit einem ernsten Beigeschmack.

Viele Szenen dieser eigenwilligen Regie wirken arg übertrieben. So wird, nur eines von vielen Beispielen, aus dem faulen Sohn von Schorsch Kublai ein sadistisch/masochistisch veranlagter queerer Lebemann, der sich mit seinem Lover vergnügt. Nicht übertrieben sondern verfälscht sind verschiedene Stellen der Übersetzung des italienischen Librettos ins Deutsche. Da wird, ein eklatantes Beispiel tendenziöser Übersetzung, aus „vai al diavolo!“, geh zum Teufel, (Schorsch Kublai an seinen Sohn Lipi gericht) ein „geh ins Kloster!“.

Und die Musik und die Sänger? Bis zur Pause steigert sich das Spiel mit Zeitebenen, mit witzig-frechen Szenen und mit Salieris deutschsprachigen Erklärungsunterbrechungen so sehr, dass die Musik manchmal nur wie eine tonale Untermalung wahrgenommen wird.

Roussets Interpretation der Partitur ist meisterhaft. Und beweist, dass Salieri mit seiner Musik immer noch unterschätzt wird. Carlo Lepore als Kublai/Schorsch, Lauranne Oliva als Lipi, Alasdair Kent als Timur, Marie Lys als Alzima faszinieren durch stimmliche wie schauspielerische Fähigkeiten.

In Wien war die Rede von einer Uraufführung und Wiederentdeckung. Das stimmt so nicht. Die Oper wurde bereits 1998 im Mainfranken Theater Würzburg unter der musikalischen Leitung von Johann van Slageren uraufgeführt. Die Rolle der Prinzessin Altima, bei Michael G. Berger, eine chinesische Managerin, sang damals die Koloratursopranistin Diana Damrau. Der einzige Unterschied zur Uraufführung im Theater an Wien (übrigens nicht im Theater an der Wien, sondern in einem akustisch ein wenig behinderten Konzertsaal des Museumsquartiers): in Würzburg wurde deutsch gesungen, in Wien italienisch.

Und: so komplett unbekannt ist die Partitur nicht. Die Overtüre der Oper findet sich inzwischen immer wieder auf Konzertprogrammen und einige Arien wurden von Diana Damrau 2007 auf CD eingespielt.

Nichtsdestotrotz bietet die Wiener Aufführung drei Stunden pures Musik- und Komödienvergnügen, gemischt mit Slapstick, viel Ulk, Sprechtheater und Witz. Mit Spannung darf die geplante CD-Einspielung von Rousset erwartet werden: Dann endlich kann man die Musik in Reinform erleben – ohne eine oftmals allzu dominierende Regie.

Nicht zu vergessen: Am Ende der Aufführungen gibt es eine Kublai-Kugel pro Besucher.

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