Eine neue Callas-Biographie zum 100. Geburtstag

Nüchtern, aber wahr

Arnold Jacobshagens neue Callas-Biographie zum 100. Geburtstag der großen Sängerin widmet sich der Kunst und dem Mythos

Von Robert Jungwirth

(Oktober 2023) „Allein aufgrund der Ausdruckskraft oder Schönheit ihre Stimme würde Maria Callas heute nicht mehr als singuläre Jahrhundert Sängerin gefeiert werden. Ihre herausragende künstlerische Bedeutung manifestiert sich erst in der Summe unterschiedlicher musikalischer und darstellerische Ausdrucksebenen, die sich in der Kategorie der Interpretation zusammenfassen lassen.“
Eine so nüchterne, sachliche Beschreibung der sängerischen Qualitäten der Jahrhundertsängerin Maria Callas liest man in Biographien über sie eher selten. Gerade bei dieser Sängerin entfalten viele Autoren im Gegenteil einen ganz besonders schwärmerischen Tonfall. Es scheint, als ob der Musikwissenschaftler und Autor Arnold Jacobshagen den vielen blumigen Verehrungsbüchern ganz gezielt etwas entgegensetzen wollte – ohne dabei natürlich die Bedeutung der großen Sängerin zu schmälern.

Diese etwas nüchternere Herangehensweise ist durchaus sinnvoll, denn über Maria Callas waren oder sind mindestens so viele Gerüchte wie Wahrheiten im Umlauf. Das reicht vom angeblichen Divenkrieg zwischen ihr und Renata Tebaldi, über ihren ominösen Gewichtsverlust, ihre Beziehung zu dem ultrareichen Reeder Onassis oder die zum Teil haarsträubenden Legenden über ihr Verhältnis zu ihrer Mutter und ihrer Schwester. Da ist es doch sehr wohltuend, zum 100. Geburtstag eine Biographie zur Hand zu haben, die sich auf der sachliche Ebene der Jahrhundertsängerin, ihrer außerordentlichen stimmlichen und darstellerischen Qualitäten, ihren Erfolgen und ihrem recht turbulenten Leben annähert.

Dass die ersten 130 Seiten von Jacobshagens Callas-Biographie allerdings zu einer trockenen Chronologie geraten sind, ist der Versachlichung dann aber doch ein wenig zu viel des Guten und bereitet kein wirklich großes Lesevergnügen.
Besser zu lesen ist der zweite Teil des Buchs, der sich in sechs Kapiteln besonderen Aspekten der Kunst und dem Leben der Maria Callas widmet. Hier beschreibt Jacobshagens facettenreich die stimmlichen und darstellerische Faszinationskraft der Callas. Und es gelingt ihm, dies und auch für Leserinnen und Leser nachvollziehbar zu machen, die sich noch eher wenig mit Maria Callas beschäftigt haben.

Interessant ist Jacobshagens Buch vor allem auch deshalb, weil es sich kritisch mit den zahllosen, zum Teil auch zweifelhaften Quellen und auseinandersetzt und sich dabei bemüht, Wahres von Legendenbildungen zu trennen. Wahr ist, dass sie eine Essstörung hatte und gleichzeitig Kochrezepte sammelte, unwahr dagegen, dass sie aus armen Verhältnissen stammte oder als Jugendliche hässlich war.

Zurecht weist der Autor darauf hin, dass manche Gerüchte dem Zeitgeist der 50er und 60er Jahre geschuldet sind, als es eigenständige und erfolgreiche Frauen noch deutlich schwerer hatten als Männer und deutlich mehr Angriffen ausgesetzt waren.
Jacobshagens Callas-Biographie ist trotz gewisser Nüchternheiten eine interessante und gelungene Annäherung an das Stimm- und Bühnenphänomen Maria Callas – die das Potential hat, die große Sängerin auch für unsere Zeit wieder greifbarer zu machen, weil der Autor sie als eine starke Frau schildert, die wusste, was sie konnte und wollte und das in ihrer Kunst und manchmal auch in ihrem Leben erreichte.

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