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130 Suchergebnisse für: Feuchtner

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Don Giovanni in Nordhausen

Der Ego-Shooter Das Theater Nordhausen hat einen fulminanten „Don Giovanni“ Von Bernd Feuchtner (Sondershausen, 27. Januar 2023) „Finch’han dal vino“ – Don Giovannis rauschende Champagnerarie trotz des rasenden Tempos Silbe für Silbe verständlich und Note für Note korrekt, das hört man nicht oft. Dieser Don Giovanni, wie Philipp Franke ihn verkörpert, ist ein sehr kontrollierter […]

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Biographie über die legendäre Pianistin Maria Judina

Feuriges Spiel als Spiel mit dem Feuer Elizabeth Wilsons Biographie der Pianistin Maria Judina „Playing with Fire“ Von Bernd Feuchtner (Dezember 2022) Maria Judina war eine Institution in der Sowjetunion. Als Pianistin war sie so eigenwillig wie Glenn Gould, der sie begeistert hatte. Für junge Komponisten war sie oft die einzige, die unerschrocken ihre Werke […]

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Sehenswert: La Traviata in Stralsund

Eine unheimliche Liebe Sandra Leupold begeistert am Stralsunder Theater mit einer minimalistischen „La Traviata“ Von Bernd Feuchtner (Stralsund, 3. Dezember 2022) Violetta macht sich Illusionen. Das hatte sie schon am Anfang gemacht, als sie in der Partyszene das Leben feierte, das sie gerade verpasste. Und jetzt, nachdem sie auch die große Liebe verpasst hat, an […]

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Uraufführung der Oper Turing in Nürnberg

Besser als der Mensch Anno Schreiers Alan-Turing-Oper in Nürnberg triumphal uraufgeführt Von Bernd Feuchtner (Nürnberg, 26. November 2022) „Bin ich tot?“ – „Wie man es nimmt.“ Alan Turing, ganz in weiß, hält einen angebissenen Apfel in der Hand, der verdammt an einen bekannten Apple erinnert. Turings Sparrings-Partnerin nämlich, ganz in schwarz, ist die KI persönlich, […]

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Vivaldis Il Giustino an der Berliner Staatsoper

Alles ist auf Show getrimmt Vivaldis „Il Giustino“ entzückt das Berliner Staatsopernpublikum – René Jacobs entdeckt einen neuen Opernkontinent für die Lindenoper Von Bernd Feuchtner (Berlin, 20. November 2022) Am Ende reißt es das Publikum von den Sitzen: Standing Ovations für die Sänger, die Akademie für Alte Musik, den Staatsopernchor, ja selbst für das Regieteam […]

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Figaro im Schloss Nymphenburg in München

Mozart kurz, aber satt

„Figaros Hochzeit“ im Schloss Nymphenburg in München

Von Bernd Feuchtner

(München, 25. August 2022) Was braucht man für eine Inszenierung von „Figaros Hochzeit“? Drei Türen. (Beliebte Prüfungsfrage.) Der Hubertussaal im Schloss Nymphenburg ist lang. Und hat weder Bühne noch Orchestergraben. Aber an der Stirnseite zwei Türen. Also musste Bühnenbildnerin Claudia Weinhart nur noch eine Fake-Türe aufs dezent eingerichtete Podest stellen und alles war fertig für „Figaros Hochzeit“ bei der Kammeroper München. Das Opernpublikum war nobel und zahlreich nach Nymphenburg geeilt, als sei es eine Staatsopernpremiere, einschließlich Kardinal Marx und Mozart-Kenner Dieter Borchmeyer – das sah auch ein bisschen nach Dorny-Flucht aus. Und alle hatten hörbar einen Riesenspaß.

„Ein toller Tag“ – so nannte Beaumarchais sein Stück, und der war hier auf zwei Stunden kondensiert, ohne dass man ernsthaft etwas vermisste, außer dem, was sonst auch oft gestrichen wird; den Gärtner zu streichen, war verzeihlich. Figaro nimmt tatsächlich den Zollstock, nachdem Johanna Soller, die Musikchefin der Kammeroper, die Ouvertüre äußerst quirlig dirigiert hatte. Und so flott ging es auch weiter. „Cinque“ beginnt Linus Mödl (was für ein Name für einen Sänger!) zu zählen. „Zehne, zwanzig“ zählt er weiter. Da die Sänger allesamt wortverständlich singen, auch in den Arien, kann sich der Wirbel entfalten.

Die elf Musiker decken die Sänger nicht zu und genügen doch, um Mozarts Musik in der nicht unheiklen Akustik des Hubertussaals zur Wirkung zu bringen. Alexander Krampe, bei der Kammeroper zuständig für die Fassungen, hat nicht nur uminstrumentiert und mit dem Skalpell gekürzt, sondern auch eine neue Übersetzung geschrieben, die dem Zeitgeist Futter gibt, ohne peinlich zu werden; den Sängern gibt sie auch Spielmaterial.

Linus Mödls Bariton hat Kern und gibt der Figur Sturm und Drang, aber nicht so viel Einfühlung. Elisabeth Freyhofs Susanna hat aber ja auch im Stück mehr Witz als ihr Verlobter. Und dass Susanna das Herz am richtigen Fleck hat, zeigt Freyhof in der berührend gesungenen Rosenarie. Alle Sänger sind Anfänger oder noch im Studium, haben aber schon fabelhaftes Niveau. Bei den Damen könnte man bemängeln, dass ihre hoch timbrierten Stimmen zu ähnlich sind, aber auch Johanna Beier gibt der Gräfin in ihrem Leiden beeindruckend Tiefenprofil.

Tabea Mitterbauer spielt brillant den kessen Buben und taucht als Cherubino immer im falschen Moment auf. Das erotische Fieber nimmt man ihr aber noch nicht so ganz ab. Anders der Graf von Jonas Müller, eigentlich ja der Unsympath vom Dienst, der glaubt, ihm gehöre jede Frau. Aber am Ende, wenn die Gräfin ihn entlarvt hat, ist er doch angefasst: Das „Verzeih mir“ kommt ihm erst nach einer langen Pause über die Lippen, dann aber so intensiv und von ganzem Herzen, dass das Publikum dahinschmilzt. Jonas Müllers noble Stimme wirkt am edelsten und durchgebildetsten, und so trägt der Graf trotz allem am Ende den Sieg davon. Barbarina (Veronika Seghers) suchte die Nadel mit entzückender Verwirrtheit, Marzellina (Nina Schumertl), Bartolo (Gabriel Fortunas) und Basilio (Robin Neck) blieben in ihren Commedia-dell’arte-Schablonen gefangen, obwohl gerade der Tenor Neck die Fähigkeit zu größeren Gemeinheiten sehen und hören ließ.

Der junge Regisseur Maximilian Berling hat kein kühnes Konzept über das Stück gestülpt, sonders scheinbar nur die Auf- und Abtritte arrangiert. So wird er natürlich von keinem Intendanten engagiert werden, denn denen ist die intellektuelle Originalität wichtiger als das Publikum. Das Arrangieren ist bei Berling aber eine hohe Kunst, denn dabei beweist er einen untrüglichen Komödien-Instinkt. Das ist bis ins Detail genau durchdacht und mit den Sängern individuell entwickelt. Und Berling weiß, was man von so jungen Künstlern erwarten darf und was nicht. Was ihm noch nicht gelingt, ist die Tiefenlotung beim Balancieren auf der Grenze zum Wahnsinn wie im Finale des zweiten Aktes, wenn alle Beteiligten auf ihren eigenen Intrigen ausgerutscht sind und sich nicht mehr auskennen. Daraus hat dann Rossini seine Postklassik entwickelt – aber das ist eine andere Geschichte.

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Lutosławski Youth Orchestra bei Young Euro Classic Berlin

Freiheitsdrang

Das Lutosławski Youth Orchestra aus Polen bei Young Euro Classic Berlin

Von Bernd Feuchtner

(Berlin 17. August 2022) Im August hat Berlin einen Klassik-Magneten der besonderen Art: Im Konzerthaus geben internationale Jugendorchester sich die Klinke in die Hand. Da man im Sommer ohne Mäntel kommt, muss man sich nicht durch die Katakomben schlängeln, sondern schreitet über einen blauen Teppich, auf dem die Sterne der Europäischen Union funkeln, über die große Freitreppe hinauf auf die Saalebene. Und wenn Jugendliche auf dem Podium sitzen, dann kommt auch jugendliches Publikum in Scharen. Deren Enthusiasmus stachelt wiederum die Begeisterung der jungen Musiker an, die die fehlende Erfahrung durch Intensität ersetzen. Großer Jubel gehört zum Programm, seit Gabriele Minz im Jahr 2000 diese Serie gegründet und seitdem erfolgreich fortgeführt hat.

Jedes Konzert beginnt mit der „Festival-Hymne“. Die derzeitige Version hat Ivan Fischer im Jahr 2011 geschrieben, der frühere Chefdirigent des Konzerthausorchesters, ein leicht folkloristisches, ganz unpathetisches Stückchen, das die jungen Polen beschwingt interpretieren. Nach einer kurzen Ansprache des Konzertpaten, des Intendanten des Deutschlandradios, spielen sie unter dem aserbaidschanischen Dirigenten Ayyub Guliyev mit dem Sinfonischen Prolog zum Drama „Bianca da Molena“ ein außerhalb Polens kaum bekanntes Werk von Mieczysław Karłowicz. Dabei hat der Kompositionsstudent es 1900 mit 24 Jahren in Berlin geschrieben. Leider kam er schon neun Jahre später durch seine zweite Leidenschaft, das Skifahren, ums Leben.

Vorbild dieses effektvollen und klangtrunkenen spätromantischen Orchesterstücks sind offenbar die Fantasieouvertüren von Peter Tschaikowsky, doch reichert der junge Komponist die Orchestrierung mit der vollen Palette des Symbolismus an – man denkt an Rachmaninows „Toteninsel“. Die Posaunen können schon zu Beginn ihren weichen, runden Pianoklang präsentieren, was nicht unwichtig ist, da sie später vorwiegend zu schmettern haben werden. Auch an Beckenschlägen spart Karłowicz nicht, wenn die tragische Rittergeschichte sich auf den Höhepunkt zubewegt. Dann wogen die nackten Arme der Geigerinnen wie die stürmische See – Frauen sind in der Überzahl in diesem Orchester, auch die vier Kontrabässe werden allesamt von Frauen gestrichen. Der erste Jubel ist gesichert.

Doch was kommt dann? Das Cellokonzert von Witold Lutosławski aus dem Jahr 1970 hat vermutlich kaum jemand im Saal schon gehört, und Lutosławski, das klingt modern. Lutosławski gehörte zum Kreis des polnischen Komponistenwunders, das in den 1960er Jahren die internationale Musikszene aufmischte. Deshalb hat das polnische Jugendorchester sich ihn als Schutzpatron gewählt, als es 2013 in Stettin gegründet wurde, wo auch das Abschlusskonzert des jährlichen Workshops stattfand – und dann gings ab nach Berlin.

Der 34-jährige polnische Cellist Marcin Zdunik beginnt mit einem stetig wiederholten D – ein runder, warmer Klang erfüllt den Saal. Dazwischen lässt er kapriziöse Figuren vom Stapel, als sei ihm etwas langweilig. Irgendwann haben die Trompeten genug von diesem Eigenbrötler und fahren grimmig dazwischen. Lutosławskis farbenreich instrumentiertes Cellokonzert treibt den Konflikt zwischen Solist und Orchester auf die Spitze. Geschrieben hat er es für Mstislaw Rostropowitsch, der daraus eine tragische Opernszene machte. Miklós Perényi hingegen spielte das Konzert wie einen Comic – was ja nicht weniger tragisch sein muss. An diesem Abend liegt man irgendwo in der Mitte und konzentriert sich auf die Musik.

Außer den Bläsern verhalten sich die Instrumentengruppen in den einzelnen Episoden des Konzerts auch gar nicht feindlich zu dem verspielten Solisten – Lutosławski lässt ihnen zwischendurch auch die Gestaltungsfreiheit, wenn der Dirigent nur noch Anfang und Ende eines solchen Feldes anzeigt. Marcin Zdunik glänzt mit aberwitzig flinkem Fingerspiel. Auf dem Höhepunkt vereint er sich mit den Streichern zu einem großen Unisono, das die Blech- und Schlagzeugmacht gellend niederschreit. Am Ende des Konzerts fiept der Solist sein repetiertes d entnervt in höchsten Tönen. Selbstverständlich ist diese Musik ein Echo der politischen Unterdrückung durch die Sowjetmacht, die Polen hart im Griff hatte.

Das junge Orchester spielte das Stück mit großem Einsatz und erhielt entsprechend starken Beifall. Der Solist musste sogar zwei Zugaben spielen, wofür er sich zuerst eine Mazurka von Chopin aussuchte und dann über das ukrainische Volkslied „Still über dem Fluss“ improvisierte.

In der zweiten Konzerthälfte stürzten sich die Musiker in die Klangabenteuer von Béla Bartóks Konzert für Orchester. Ayyub Guliyev blätterte mit ihnen die fünf Kapitel dieses Meisterwerks auf, das Bartók im New Yorker Exil, in äußerer und innerer Not schrieb. Hier konnten noch einmal alle Instrumentengruppen ihre Musikalität und ihre Fähigkeiten zeigen, so dass die Begeisterungsrufe am Ende kaum enden wollten. Ganz normal bei Young Euro Classic.

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Così fan tutte als Open Air in Sondershausen

Aus einem Puppenheim

„Così fan tutte“ Open Air bei den Sonderhäuser Schlossfestspielen

Von Bernd Feuchtner

(Sondershausen, 8. Juli 2022) In der italienischen Oper sind der Sopran und der Tenor das erste Paar, die Mezzosopranistin und der Bariton das zweite, so will es die Konvention. In „Così fan tutte“, dem Paarwechselstück schlechthin, stellt er uns aber zwei „falsche“ Paare vor: Die Sopranistin Fiordiligi ist mit dem Bariton Guglielmo verlobt, ihre Mezzo-Schwester Dorabella aber mit dem Tenor Ferrando. Diese beiden jungen Paare haben sich eingerichtet in ihrer Idylle der Ahnungslosen, doch dann kommt Mozart und jagt sie durch die Hölle.

Regisseur Matthias Kitter nimmt ihn beim Wort: Zur Ouvertüre tritt der wohlbekannte Amadeus auf die runde Spielfläche und stimmt mit einer frechen Geste das Publikum im Sondershäuser Schlosshof auf einen Riesenspaß ein. Er sprudelt nur so von Ideen, und Schauspieler Florian Hackspiel wird den ganzen Abend über treppauf, treppab rennen und den Sängern immer neue Ideen vorgeben. Vor allem natürlich Don Alfonso, der die Intrige in Gang setzen muss – und Thomas Kohl kommt dem mit gut aufgelegter Abgeklärtheit seines schönen Basses nach. Quietschbunt ist das Puppenheim der beiden Schwestern, quietschbunt sind ihre Rokoko-Kostüme (Bühne und Kostüme sind von Birte Wallbaum). Die Spielfläche ist ein ins Riesenhafte vergrößerter Porzellanteller samt Silberbesteck, was das Puppenhafte der beiden jungen, quietschvergnügten Paare gut unterstreicht.

Wie groß ist das Entsetzen der beiden Schwester, als sie erfahren, dass ihre Jungs in den Krieg ziehen – man weiß an diesem Abend oft nicht so genau, was wirklich in ihren Köpfen vorgeht: Was haben die beiden Püppchen halt so gelernt, was ist echte Empfindung? Wunderbar harmonieren die Stimmen von Meike Hartmann und Sarah Alexandra Hudarew, wenn sie ihren Liebsten eine sanfte Brise wünschen, während Alfonso vor Lachen beinahe platzt. Und das aus gutem Grund, denn umgehend stehen die beiden Jungs wieder vor ihnen, jetzt gekleidet wie heutige Rockstars und stürmisch wie heiße Verehrer. John Pumphrey versucht es mit der Tenorallüre, doch mit gut geführter, beweglicher Stimme allein ist es nicht getan, er blitzt bei Fiordiligi ab. Felsenfest werde ihre Treue sein, verspricht sie, und Meike Hartmann nimmt man den Ernst ihrer schroff gezackten Widerstandslinien absolut ab.

Da geht Philipp Franke schon massiver ran – seine brillante Shownummer zwingt nicht nur Dorabella zum Hinsehen. Und dank perfekter Gesangstechnik auch zum Hinhören. Wenn nur der Ton aus den Mikroports und aus dem Riesensaal, in dem Michael Helmrath das Lohorchester zu federndem Spiel anhält, nicht so furchtbar laut wäre. Die Leute auf der Tribüne im Schlosshof scheint es aber nicht zu stören, sie folgen der Geschichte mit wachen Reaktionen, weil sie zwar lustig, doch ohne Klamauk erzählt wird. Dass die stark gekürzten Seccorezitative auf Deutsch gesprochen werden, hilft enorm. Und da alle Rollen großartig besetzt sind, vermittelt sich der italienische Gesang reibungslos.

Es ist packend, wie nach der Pause aus dem Spiel immer mehr Ernst wird, angefeuert von Amelie Petrichs kesser Despina. Wie Dorabella ihrem neuen Verehrer verfällt und die – nun passenden – Stimmen von Hudarew und Franke im Duett verschmelzen. Hartmann jedoch lässt Pumphrey wiederum abblitzen. Guglielmo steigt der Erfolg zu Kopfe und er prahlt mit seinen Frauenkenntnissen – auch das ein Kabinettstückchen kluger Psychologie. Pumphrey hingegen verleiht seiner Enttäuschung lautersten Ausdruck. Auch Hudarews fröhliches Trällern lässt Fiordiligi nicht an ihrem Treueschwur irrewerden – dem letzten Ansturm des Tenors erliegt sie dann doch.

Doch Alfonso zwingt die Freunde zum Weitermachen – Thomas Kohls Lebensweisheiten sind zwar etwas wohlfeil, aber die Lektion muss durchgezogen werden. Nach blitzschnellem Umzug hinter der Bühne sind die beiden früheren Liebhaber zurück und tun so, als hielten sie Gericht über ihre Mädchen. Dabei sieht man ihren Gesichtern an, dass sie eigentlich nur selbst demontiert haben. Das Hochzeitssextett klingt wie ein Trauerchoral. Die Erkenntnis Despinas, von Petrich bisher mit so quirliger Souveränität ausgestattet, dass sie ebenfalls auf die Intrige hereingefallen ist, fiel wohl den Kürzungen zum Opfer. Nur kurz treffen sich die alten Paare – wäre da nicht Mozart, der in dem Moment, wo wieder die neuen Kombinationen nebeneinander zu stehen kommen, den Spielteller spalten würde, so dass bei den Schlusstakten die „richtigen“ Paare beieinander bleiben. Nach diesem Schlusscoup bricht starker Beifall aus – dreieinviertel Stunden beste Unterhaltung mit Mozarts „Così fan tutte“!

https://schlossfestspiele-sondershausen.de Noch bis 24. Juli.

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Schostakowitsch-Tage in Gohrisch

Musik der inneren Emigration

Der ukrainische Komponist Valentin Silvestrow stand im Zentrum der 13. Internationalen Schostakowitsch-Tage Gohrisch

Von Bernd Feuchtner

(Gohrisch, 3. Juli 2022) Wir erinnern uns an die Bilder im Fernsehen, als russische Polizisten in einen Konzertsaal eindrangen und den Pianisten Alexej Lubimov bei einem Schubert-Impromptu unterbrachen. Sie verlangten den Abbruch des Konzertes, aber sie kamen zu spät: Der Liederzyklus „Stufen“ des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrow war schon in der ersten Konzerthälfte erklungen. Bei den Schostakowitsch Tagen Gohrisch konnte man nun in der Sächsischen Schweiz zwischen Königstein, Papststein und Pfaffenstein das ganze Konzert hören, nur dass diesmal der Schubert-Teil zuerst erklang. Konzentriert und eigensinnig spielte Lubimov die vier Klavierkompositionen, dazwischen sang die ukrainische Sopranistin Viktoriia Vitrenko fünf Schubertlieder.

Nach der Pause dann die Lieder von des ukrainischen Komponisten, dessen Musik Lubimov schon seit Jahrzehnten spielt. So hörten wir die elf Lieder von 1981/82 auf Texte russischer Symbolisten wie Blok und Sologub oder des Akmeïsten Mandelstam und von ihnen geschätzter Dichter wie Puschkin und Baratynski – also alles „dekadente Modernisten“ wie Stalins Kunstbürokraten sie verabscheuten – in authentischer Interpretation. Alles leise, alles langsam, Lieder von Abschied, Abenddämmerung, Verfall, Traum und Vernichtung, eine Dreiviertelstunde lang. Musik, die sich ganz auf ihre eigene Schönheit zurückzieht und jeden äußerlichen Effekt verschmäht.

Nach der Besetzung der Krim durch Russland 2014 schrieb Silvestrow ein „Gebet für die Ukraine“. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine flohen seine beiden Enkelinnen mit dem 84-jährigen Komponisten nach Berlin. Und die Schostakowitsch Tage Gohrisch warfen ihr Programm um – vorwiegend russische Musik mit vorwiegend russischen Interpreten hätte jetzt niemand ertragen. Nun erklangen an den vier Festivaltagen in allen Programmen (mit einer Ausnahme) Stücke von Silvestrow, und seien es nur ein paar kleine Klavierstücke. Ein Höhepunkt war sicherlich sein Drittes Streichquartett von 2011 in Verbindung mit Schostakowitschs Neuntem Quartett und Sofia Gubaidulinas „Reflections on the theme B-A-C-H“ von 2002, intensiv interpretiert durch das fabelhafte Eliot Quartett.

Zusammen mit Gubaidulina, Schnittke, und Denissow repräsentierten die beiden „Kiewer Avantgardisten“ Wolkonski und Silvestrow noch zu Schostakowitschs Lebzeiten in den 1960er Jahren die junge Komponistengeneration der Sowjetunion, die sich für Zwölftonmusik und andere Experimente interessierte und damit den parteitreuen Komponistenverband in Wallung brachten. Doch um 1975 scherte Silvestrow aus dem westlich orientierten Neuerertum aus und fand zu einer neuen Einfachheit, die er „metaphorische Musik“ nannte – zur gleichen Zeit schuf Arvo Pärt seinen neuen „Tintinnabuli-Stil“.

Da Silvestrow während des gesamten Festivals anwesend war, konnte man den Komponisten auch spontan beim Improvisieren am Klavier erleben. So versteht man seine Musik der letzten Jahrzehnte besser: Ein Mann, der dem Lärm der Zeit eine Absage erteilt hat und nur noch in seinem Inneren hört, was von dort aus der großen klassischen Musik nachklingt, oder wie aus den Splittern des zersprungenen Spiegels ein neues Kaleidoskop zusammengesetzt werden kann.

Auch Dmitri Jurowski setzte mit der „Abschiedsserenade“ für Streichorchester aufs Programm des Gedenkkonzerts für seinen Vater Michael. Jurowski Senior war nicht nur mit Schostakowitsch befreundet gewesen, sondern auch mit den Schostakowitsch-Tagen von Anfang an eng verbunden. Mit den Zwetajewa-Liedern sang Evelina Dobraceva danach ein herbes Spätwerk von Schostakowitsch – zum ersten Mal in der Sopranfassung von Dmitri Jurowski. Gut gelaunt dirigierte er in der zweiten Konzerthälfte die Schauspielmusik zur „Menschlichen Komödie“, die Schostakowitsch 1934 für das Wachtangow-Theater geschrieben hatte. Zwischen den Stücken rezitierte Jurowski Sprüche aus dem Balzac-Kosmos. Wenn der Kontrabassist im Sitzen zu tanzen beginnt und der Bratschist ein breites Grinsen aufsetzt, spürt man, wieviel Spaß die Musiker der Sächsischen Staatskapelle dabei hatten.

Ein weiterer Höhepunkt war der Abend mit dem Geiger Vadim Guzman, dem Cellisten Sebastian Fritsch und der Pianistin Julianna Avdeeva, wieder mit Silvestrow, Gubaidulina und Schostakowitsch. Die Cellosonate des Namensgebers des Festivals spielten Fritsch und Avdeeva mit jugendlichem Überschwang und erinnerten damit an den frechen jungen Schostakowitsch. In Gubaidulinas Geigensonate „Freue dich“ herrscht da schon ein mehr verinnerlichter Ton, von Guzman und Avdeeva mit Hingabe gespielt. Schostakowitschs 2. Klaviertrio in memoriam seines Freundes Iwan Sollertinski vereinte die drei Musiker in einer denkwürdigen Interpretation, auch wenn die Streicher dem Klavier in der Akustik der Scheune das Leben etwas schwer machten.

Ansonsten erwies die Gohrischer Scheune nach drei Jahren Zwangspause wieder ihre großartige Brauchbarkeit für dieses Festival an dem Ort, an dem Schostakowitsch sein intimstes Werk schrieb, das 8. Streichquartett, in dem auch das 2. Klaviertrio zitiert wird. Und wie beinahe immer hatte die Leiterin des Moskauer Schostakowitsch-Archivs auch wieder ein unveröffentlichtes Manuskript gefunden: „Ruhm den Schiffbauern“ heißt der Chor a cappella, den Schostakowitsch 1964 auf den Text eines ukrainischen Dichters zum 175. Gründungstag der Stadt Mykolajiw komponierte. Die ukrainische Küstenstadt ist vor allem für ihre Schiffswerft berühmt, und so ließ der Komponist sich zu dieser Gelegenheitsarbeit verlocken, die vom Sächsischen Vocalensemble unter Matthias Jung angemessen getragen und mit runder Schlusssteigerung ihre Uraufführung fand – zumindest auf dem Konzertpodium, denn 1964 wird man kaum den Notentext in die Zeitungen gebracht haben, wenn der Chor nicht auch vor Ort erklungen wäre.

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Konwitschny inszeniert Die Nase an der Semperoper

Gott ist nicht tot, sondern geldgierig

Peter Konwitschny inszeniert „Die Nase“ an der Semperoper

Von Bernd Feuchtner

(Dresden, 2. Juli 2022) Jetzt schlägt’s Dreizehn: Von der Geheimpolizei in die Enge getrieben, erschießt Kowaljow sich nach der ersten Szene des 3. Aktes! Vorhang. Pause.

Eine Pause in der „Nase“? Das habe ich noch nicht erlebt. Das Stück dauert doch nur 100 Minuten. Aber Peter Konwitschny wäre nicht Peter Konwitschny, wenn er nicht beherzt eingriffe in den Mechanismus dieser Groteske, mit der Nikolai Gogol vor bald 200 Jahren über die zaristische Beamtengesellschaft herzog. Standesdünkel war wichtiger als Ehrlichkeit, Ehen entsprangen der Berechnung, nicht der Liebe. Für den 20-jährigen Dmitri Schostakowitsch war diese Erzählung ein gefundenes Fressen. Keine zwei Jahre brauchte er, um daraus eine futuristische Oper zu machen. In Leningrad, dem früheren St. Petersburg, lief sie 16 Vorstellungen lang vor begeistertem Publikum, dann wurde sie verboten.

Es ist also keineswegs absurd, wenn Konwitschny aus der Rasierszene am Anfang aus Kowaljow und seinem Barbier einen männlichen und einen weiblichen Geheimpolizisten macht, die gelangweilt an der Rampe entlang spazieren. Wir sind ganz eindeutig nicht mehr im 19. Jahrhundert. Helmut Brade hat für die 16 absurden Szenen die 16 Hubpodien der Semperbühne mobilisiert, die als quietschbunte Häuschen hochfahren und die einzelnen Szenen behausen, in denen der nasenlos aufgewachte Kollegienassessor Kowaljow nach seinem verschwundenen Körperteil sucht. Ach ja: alle haben rote Pappnasen auf, nur Kowaljow nicht, worüber er doch eigentlich glücklich sein sollte. Aber hier will jeder gleich sein.

Das berühmte Schlagzeugstück – das erste der Geschichte – wird hinter den roten Brettern der Gefängniszelle gedroschen. Frech und unerhört ist diese Musik, die das Publikum von Anfang an mit höchst opernunüblichen Klängen überschüttet. Die Dresdner Staatskapelle unter Petr Popelka dreht mächtig auf und hat offenbar einen Riesenspaß. Für die Sänger ist das nicht immer so günstig, vor allem, wenn sie gerade in einem weiter hinten liegenden Kasten auf- und abtauchen. Doch die gewaltige Sängerschar, zu der noch der große Chor und eine Statistenarmee kommen, schlägt sich wacker. Herausragend Bo Skovhus, der in Hamburg schon Konwitschnys Wozzeck war und seit langem einer der prägnantesten Sängerdarsteller ist. Er führt einen Mann vor, dessen Würde gnadenlos zertreten wird. Nachdem die beiden Geheimpolizisten ihn durch einen Parcours gehetzt haben, greift er zur Pistole.

Nach der Pause sind wir im Himmel – Schäfchenwolken drapieren die hochgefahrenen Hubpodien. Statt des Wachtmeisters und des Arztes, die aus dem Nasenlosen Geld schlagen wollen, erscheinen nacheinander Gott, Jesus und der Teufel. Denen ist Kowaljow ebenso schnuppe, wenn er nicht genug Geld abliefert. Irgendwie muss Kowaljow doch noch auf der Erde weiterleben. Und dort sind inzwischen alle Nasen schwarz.

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Paradise Lost an der Neuköllner Oper

Die Welt nach dem Sündenfall

Das Musical „Paradise Lost“ an der Neuköllner Oper Berlin – eine vergnügliche Entdeckung

Von Bernd Feuchtner

(Berlin, Juni 2022) Ausbeuterische Intendanten, miese Besetzungstricks, Willkür allmächtiger Regisseure, Lohndrückerei am Rande der Legalität, begraben in der Provinz – all das schmettert sie nieder. All das ist wahr. Aber natürlich lassen sie sich am Ende nicht davon abschrecken, die Studierenden der UdK, denn sonst wäre „Paradise Lost“ kein Musical. Die Berliner haben das Privileg, dass ihr Studiengangsleiter Peter Lund den Absolventen ein neues Musical schreibt und Thomas Zaufke ihnen die Musik dazu komponiert. Für das Publikum der Neuköllner Oper war das immer ein Highlight. Aber ein „Verlorenes Paradies“?

Der Titel „Paradise Lost“ deutet erst einmal auf das berühmte Versepos aus dem Barock, in dem John Milton den Höllensturz von Luzifers, den Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies schildert. Aber das kennt hier und heute kein Mensch mehr, unter Paradise Lost stellt man sich bestenfalls die Gothic-Band um Greg Macintosh vor. Was von beiden birgt den Stoff für ein Musical? Keines! Der Sündenfall ist hier der vergnügte Sprung ins Abenteuer, und das Paradies der Traum vom Leben als Musicalstar.

Die Rückseite von Sofitten zeigen uns an, dass wir quasi auf der Hinterbühne sitzen, während das Orchester im dunklen Zuschauerraum anzunehmen ist. Ulrike Reinhard hat ein so schlichtes wie raffiniertes Bühnenbild gebaut, auf dessen runder Scheibe natürlich dann doch in unsere Richtung gespielt wird – Logik hat im Musical so wenig zu suchen wie in der Operette. Adam und Eva waren im Paradies, aber jetzt sitzt Eva mit dem Kind zuhause (Lisa Maria Hörl entwickelt sich mit Power von der grünen Witwe zur Kämpferin), während ihr Ehemann Adam – schon ein paar Jahre älter als die anderen – um einen Job bei der neuen Musicalproduktion kämpft und nicht darauf kommt, dass Eva das auch könnte (Tobias Blinzler macht einen Lernprozess sichtbar). Dann trifft er da mit der Regieassistentin auch noch seine Verflossene, und die lässt sich gern auf Spielchen ein – für Hitze ist gesorgt.

Peter Lund hat sich eine Menge Gelegenheiten und überraschende Wendungen ausgedacht, die die Probenphase an einem Provinztheater mit allmächtigem Patron realistisch wiedergeben und jedem seiner Darsteller Songs bereitstellen, die Tiefs und Hochs treffend zu besingen. Als die Produktion beinahe vor dem Scheitern steht, kommt Adam Demetz als Deus ex machina ins Spiel – der Provinzrocker entpuppt sich als talentierte Rampensau. Bei einem muss man zweimal hinschauen: Steffen Gerstle spielt im Prolog die Schlange, die Adam und Eva aus dem Paradies bringt, und ist dann die Ankleiderin, die die langsamen Bewegungen der älteren Frau auch noch beim starken Schlussbeifall verinnerlicht hat. Tolle Stimmen haben sie alle. Etwas ausdrücken können sie in den eindringlichen Songs so gut wie im Tanzrhythmus und im charaktertypischen Spiel. Und auch der intime Raum der Neuköllner Oper – ein früherer Festsaal – spielt mit und rückt das Stück nah ans Publikum, das sichtbar berührt und begeistert mitgeht.

Annika Steinkamp ist die resolute Regieassistentin, die die Befehle des unsichtbaren Allmächtigen umsetzt und ihr Herz irgendwie doch bei den Darstellern hat. Manuel Nobis singt und spielt mutig und dezent den Schwulen, der leer ausgeht. Paul Fruh als Charmeur Peedy will jedes gutaussehende Mädel um den Finger wickeln und fängt was mit Maja (Isabell Seliger) an. Timothy Leistikow kämpft mit Peedy um die Hauptrolle und mit seinen Versagensängsten. Mirjam Wershofen spielt erst das typegecastete Piepsmäuschen, entpuppt sich dann aber als raffinierte Intrigantin. Eine Menge Gefühlsaufwallungen würzen die Story genauso wirkungsvoll wie die Theaterwahrheiten. Aber so ist die Welt nun mal seit dem Sündenfall. Jeder fällt mal in sein Loch, jeder steht wieder auf. Zaufkes Musik erfüllt alle Erwartungen, die man an ein Musical hat, und gibt den jungen Darstellern Stoff. Die Mischung machts: Das ist beste Unterhaltung ohne Verlogenheit.